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Ich übe für den Himmel

Ich übe für den Himmel

Titel: Ich übe für den Himmel
Autoren: Patmos
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an nach Brief und Zigarre .
    Mein Herz pocht wild und laut. Es ist lauter als alle Geräte zusammen in dieser Schreckenskammer. Aber ich halte durch. Vielleicht kommt noch etwas? Mit ihrer linken Hand gibt sie mir mit einem Mal ein Zeichen. Es sieht wie ein winziges Winken aus. Als mein Herz nicht mehr soviel Krach in mir macht, lasse ich mich aus ihrem Bett gleiten. Ich decke das kleine, alte Mädchen sorgfältig zu und küsse es auf die gerade und auf die schiefe Gesichtshälfte. Meine rote Nase streift ihre Nase. Meine Freundin braucht jetzt Ruhe, sie hat mir zum Abschied gewunken und ich winke zurück, als ich auf Zehenspitzen wegschleiche. Vorher habe ich ihr noch die Perlen in die Ohren gesteckt. Frau Schröder mag nicht ohne ihre Perlen sein, das weiß ich. Die Perlen sind ihr besonderes Markenzeichen, so wie bei mir die rote Nase.
    Irgendwie muss mein Schutzengel es gut mit mir gemeint haben. Ich bin unbemerkt aus dem Krankenhaus zum Fahrrad gehuscht. Dann trete ich wie die von der Tour de France in die Pedale, bis mir die Luft fast wegbleibt, die rote Nase immer noch mitten im Gesicht. Perfekt, auch das gelingt mir: Jonathans Fahrrad schiebe ich unbemerkt wieder in den Schuppen, passe in unserem Treppenhaus höllisch auf, dass ich nicht auf die knarrenden Holzstufen trete. Wie Esmeralda tapse ich auf Samtpfoten in mein Zimmer. Es ist fast drei Uhr am Morgen, und ich versuche in meinem Schwalben- und Wolkenkleid einzuschlafen.
    Ich rolle mich in einem warmen Gedanken ein: Ich bin Jonathans Freundin und er ist mein Freund.
    »Mein Vater ist zum Bahnhof gefahren!«, brüllt Jonathan fröhlich schon vorne in unserem Garten. Alle Fenster sind geöffnet, deshalb höre ich ihn bis in die Küche. Mama und Papa lesen irgendwo, ich sitze mit Eddie beim Frühstück, als mein neuer Freund hereingestürmt kommt. Wir nehmen das Tablett mit dem Frühstück und gehen zu Tante Antje. Da hocken wir zu dritt: Jonathan, Eddie und ich. Die beiden wollen alles ganz genau wissen.
    »Und du hast echt unter dem Bett gelegen, bis der Pfleger weg war?«, fragt Jonathan ungläubig.
    »Habe ich. Mir ist ganz schön die Muffe gegangen. Aber ich wusste, ich muss es schaffen, weil Frau Schröder mich braucht. Sie hat mich verstanden, auch ohne Ohrenknöpfe. Sie spricht schließlich ja auch ohne diese Dinger mit ihren toten Freunden und Verwandten. Hermann hätte mir eventuell einen Strich durch die Rechnung machen können, aber er war wohl doch zu vollgeknallt mit Schnaps.«
    »Wer ist denn nun wieder Hermann?«
    »Sage ich doch, ein Saufkopf.«
    Eddie platzt fast vor Spannung: »Jetzt lass den doch mal. Also, ich fasse zusammen: Frau Schröder weiß Bescheid, dass wir alles tun werden, um sie dort wieder schnell herauszuholen.«
    »Hat sie noch etwas gesagt?«, fragt Jonathan aufgeregt. »Und hast du sie von mir gegrüßt?«
    »Von uns allen. Sie hat, wenn ich sie richtig verstanden habe, vier Worte gesagt: Isha , Clown , Brief und Zigarre .« Auf Jonathans Stirn erscheinen eine Menge Denkfalten.
    Wir grübeln.
    Eddie hat mal wieder den Durchblick: »Frau Schröder hat einen Brief geschrieben, und den müssen wir suchen. Ich weiß auch schon wo.«
    »Wo denn?«
    »Verrate ich nur, wenn ihr mir sagt, ob ihr euch verliebt habt.«
    Jonathan und ich sehen uns an und ich glaube, meine Sommersprossen verfärben sich gerade dunkelrot. Er zieht seine Mütze bis fast auf die Nase.
    »Bingo«, sagt Eddie. »Dann nehme ich Larissa, wenn sie von der Nordsee zurückkommt.«
    »Gute Idee«, murmelt Jonathan und seine Stimme knarrt und piepst gleichzeitig. O Gott, auch das noch. Jetzt kommt der in den Stimmbruch.
    Wir schließen Frau Schröders Wohnungstür auf. Ich schnuppere. Frau Schröders Gerüche sind überall: Ich rieche Zigarillos, Zigarren, Maiglöckchen und auch die Schokokekse, die in einer Schale in der Küche stehen. Jonathan und ich haben gestern nur ihre Handtasche aufs Bett gelegt, die Tomaten und den Käse in den Kühlschrank gepackt und die Tür hinter uns zugezogen. Irgendwer hat aufgeräumt. Mama und Papa, während ich schlief?
    »Isha, Clown, Brief und Zigarren. So. Isha ist klar, Clown auch, Brief und Zigarren hängen zusammen, wetten? Und wo sind die Zigarren?« Eddie übernimmt gerade die Leitung.
    Aufgeregt hole ich den Holzkasten, öffne ihn und lege langsam eine Zigarre nach der anderen auf ein Tablett.
    Die Spannung steigt.
    Jonathan steht auf meinen Füßen und Eddie hängt quer über dem Tisch, um bloß nichts zu
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