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Lebendig und begraben

Lebendig und begraben

Titel: Lebendig und begraben
Autoren: Finder Joseph
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TEIL EINS
    1. KAPITEL
    Wenn Gefängnisse so aussehen,
dachte Alexa Marcus,
könnte ich in einem leben. Auf Dauer, meine ich.
    Sie stand mit ihrer besten Freundin, Taylor Armstrong, in der langen Schlange, die auf Einlass in Bostons angesagteste Bar wartete. Ins
Slammer.
Das war die Bar des Luxushotels
Graybar
, ein ehemaliges Gefängnis. Man hatte sogar die Gitterstäbe vor den Fenstern gelassen und die große zentrale Rotunde behalten, die von den eisernen, vergitterten Galerien gesäumt wurde.
    Alexa musterte unauffällig die Gruppe Jungs unmittelbar hinter ihr; sie sahen aus wie Verbindungsstudenten vom MIT, die sich viel zu auffällig bemühten, cool zu wirken: Hemd über der Hose, billige Blazer, dieses ganze Zeug in ihren Haaren und der beißende Gestank ihres Deos. Zweifellos würden sie morgens um zwei nach Hause wanken, von der Brücke nach Cambridge runterkotzen und sich darüber beschweren, dass alle Mädchen im
Slammer
Zicken wären.
    »Ich mag dieses rauchige Augen-Make-up«, meinte Taylor, während sie Alexas Gesicht betrachtete. »Siehst du? Es sieht fantastisch an dir aus!«
    »Es hat mich fast eine Stunde gekostet«, gab Alexa zurück. Die falschen Wimpern, der schwarze Gel-Eyeliner und der schwarze Lidschatten … Sie sah ganz bestimmt wie eine Nutte aus, die von ihrem Zuhälter zusammengeschlagen worden war.
    »Mich kostet das so etwa dreißig Sekunden«, erwiderte Taylor. »Aber jetzt sieh dich an … Du bist eine echt heiße Nummer und nicht mehr so eine Vorstadtschnepfe.«
    »So spießig bin ich gar nicht«, protestierte Alexa. Sie warf einen kurzen Blick auf zwei dünne, europäisch wirkende Jungs, die rauchten und unablässig in ihre Handys quasselten. Süß, aber vielleicht schwul? »Immerhin … wohnt Dad in Manchester.« Fast hätte sie gesagt: »
Ich
wohne in Manchester«; aber das große, geräumige Haus, in dem sie aufgewachsen war, war für sie kein Heim mehr, nicht, seit ihr Dad Belinda, diese geldgierige Flugbegleiterin, geheiratet hatte. Alexa war seit vier Jahren nicht mehr für längere Zeit zu Hause gewesen, nicht mehr, seit sie nach Exeter gegangen war.
    »Ja, klar, geschenkt«, meinte Taylor. Alexa registrierte den Unterton ihrer Freundin. Taylor musste einem immer unter die Nase reiben, dass sie selbst ein Großstadtkind war. Ihr Dad war US-Senator, und sie war in einem Stadthaus auf dem Beacon Hill aufgewachsen, direkt am Louisburg Square. Deshalb betrachtete sie sich als urban und hielt sich für cooler und gerissener als alle anderen. Außerdem hatte sie die drei letzten Jahre in der Rehabilitation verbracht, auf der Marston-Lee-Academy, dem »therapeutischen Internat« in Colorado, auf das der Senator sie geschickt hatte und das seine Schützlinge mit liebevoller Strenge erzog, damit sie wieder clean wurden.
    Träum weiter, Cowboy!
    Jedes Mal, wenn Taylor in den Ferien nach Boston zurückkam, hatte sie einen anderen ausgeflippten Look drauf. Letztes Jahr hatte sie ihr Haar pechschwarz gefärbt und Perlen hineingeflochten. Heute Nacht waren es hautenge, schillernd schwarze Leggins, das übergroße graue Gaze-T-Shirt über dem schwarzen Spitzen-BH und die nietenbeschlagenenHalbstiefel. Alexa dagegen war weniger abenteuerlustig und trug ihre schwarzen, hautengen Jeans und die braune Tory-Burch-Lederjacke über einem Tanktop. Okay, sie war nicht so avantgardistisch wie Taylor, aber
spießig
war sie deshalb auf gar keinen Fall!
    »O mein Gott«, murmelte Alexa, als sich die Schlange unaufhaltsam dem Türsteher näherte.
    »Entspann dich einfach, okay,
Lucia
?«, sagte Taylor.
    »Lucia …?«, begann Alexa, als ihr einfiel, dass »Lucia« der Name auf ihrem falschen Ausweis war. Das heißt, eigentlich war es ein echter Ausweis, es war nur nicht ihrer. Sie war siebzehn, und Taylor war gerade achtzehn geworden. Alkohol gab es erst ab einundzwanzig, was irgendwie uncool war. Taylor hatte Alexas Ausweis einem älteren Mädchen abgekauft.
    »Sieh dem Türsteher einfach in die Augen und bleib cool«, riet ihr Taylor. »Es wird alles glattgehen, du wirst sehen.«
     
    Natürlich behielt Taylor recht.
    Der Türsteher wollte nicht mal ihre Ausweise sehen. Nachdem sie die Hotellobby betreten hatten, folgte Alexa Taylor zu den altmodischen Aufzügen, über deren Türen noch Zeiger signalisierten, in welchem Stockwerk sich der Fahrgastkorb befand. Die Aufzugtüren öffneten sich, und eine eiserne Gittertür glitt rasselnd auf. Taylor trat mit ein paar anderen Leuten ein. Alexa zögerte,
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