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Lebendig und begraben

Lebendig und begraben

Titel: Lebendig und begraben
Autoren: Finder Joseph
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ziemlich ungewöhnliche Geschichte. Waren in Yale, haben aber nie ein Examen gemacht. Und Sie haben ein paar Sommerpraktika bei McKinsey absolviert, hab ich recht?«
    »Ich war jung. Ich wusste es nicht besser.«
    Er lächelte wie ein Reptil. Ein kleines Reptil, okay. Ein Gecko? »Ich habe dort ebenfalls gearbeitet.«
    »Ach. Und ich hatte gerade angefangen, Sie zu respektieren«, erwiderte ich.
    »Eins kapiere ich nicht. Sie haben Yale verlassen und sind zur Army gegangen. Was sollte das? Jungs wie wir tun so was nicht.«
    »Nach Yale gehen?«
    Er schüttelte gereizt den Kopf. »Wissen Sie, ich dachte, der Name ›Heller‹ käme mir irgendwie bekannt vor. Ihr Dad ist Victor Heller, richtig?«
    Ich zuckte mit den Schultern, als wollte ich sagen: »Bingo, erwischt.«
    »Ihr Vater war eine echte Legende.«
    »Ist.«
    »Wie bitte?«
    »Ist«, wiederholte ich. »Er lebt noch. Und sitzt seine zwanzig Jahre plus X im Knast ab.«
    »Richtig, klar. Jedenfalls ist er am Ende leer ausgegangen, stimmt’s?«
    »Behauptet er jedenfalls.« Mein Vater, Victor Heller, der sogenannte
Dunkle Prinz der Wall Street,
saß zurzeit eineachtundzwanzigjährige Gefängnisstrafe wegen Wertpapierbetruges ab. Ihn als »Legende« zu bezeichnen war die nette Variante.
    »Ich habe Ihren Vater immer sehr bewundert. Er war ein echter Pionier. Allerdings vermute ich, dass etliche potenzielle Klienten es sich sehr genau überlegen, ob sie Sie engagieren, wenn sie hören, dass Sie Victor Hellers Sohn sind.«
    »Vermuten Sie, hm?«
    »Sie wissen, was ich meine, diese ganze …« Er stockte und kam dann vermutlich zu dem Schluss, dass er sich nicht weiter zu erklären brauchte. Er hatte bereits klargemacht, was er hatte sagen wollen.
    Aber so leicht wollte ich ihn nicht vom Haken lassen. »Sie meinen, diese Geschichte mit ›Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm‹, ja? Oder: ›Wie der Vater, so der Sohn‹?«
    »Ja, so ähnlich. Das würde sicher einige Leute stören, aber mich nicht. Tja, also … So wie ich das sehe, bedeutet das nämlich wahrscheinlich, dass Sie nicht allzu empfindlich sind, was gewisse … Grauzonen angeht.«
    »Gewisse Grauzonen.«
    »All dieses nervige Gesetzeszeug, wenn Sie wissen, was ich meine.«
    »Ah, klar, kapiere.« Eine Weile beschäftigte ich mich damit, aus dem Fenster zu blicken. Was ich in letzter Zeit recht häufig tue. Ich mochte den Ausblick. Man konnte die ganze High Street hinab bis zum Ozean sehen. Die Promenade an der Rowes Wharf wurde von einem großen, italienischen Marmorbogen eingerahmt.
    Ich war vor ein paar Monaten von Washington nach Boston gezogen und hatte mit viel Glück ein Büro in einem alten Backsteingebäude im Finanzviertel gefunden, einer umgebauten Bleirohrfabrik aus dem neunzehnten Jahrhundert. Von außen wirkte das Gebäude wie ein viktorianischesArmenhaus aus einem Roman von Charles Dickens. Das Innere jedoch mit seinen unverputzten Ziegelwänden, den hohen Bogenfenstern, den freiliegenden Rohren und den offenen Räumen ließ einen nicht vergessen, dass an diesem Ort tatsächlich einmal etwas hergestellt worden war. Und das gefiel mir. Es hatte so eine Steampunk-Aura. Die anderen Mieter waren Beratungsfirmen, ein Steuerberater und etliche kleine Immobilienmakler. Im Erdgeschoss befand sich ein »Exotisches Sushi-und-Tapas«-Restaurant, das in Konkurs gegangen war, und der Showroom von »Derderian – Edle Orientteppiche«.
    Mein Büro hatte irgendeiner hochtrabenden Dot-Com-Firma gehört, die nichts produziert hatte, nicht einmal Geld. Sie hatte plötzlich pleite gemacht und musste deshalb früher aus ihrem Mietvertrag aussteigen, so dass ich einen netten Nachlass auf den Mietpreis bekam. Die Leute waren so überstürzt ausgezogen, dass sie sogar ihre schicken Glas- und Metallmöbel und einige sündhaft teure Bürostühle zurückgelassen hatten.
    »Sie behaupten also, jemand aus Ihrem Vorstand lässt geschäftsschädigende Informationen über Ihre Firma durchsickern«, sagte ich, während ich mich langsam herumdrehte. »Und Sie wollen, dass wir – wie haben Sie es noch ausgedrückt? – ›das Leck stopfen‹. Richtig?«
    »Ganz genau.«
    Ich schenkte ihm mein bestes, verschwörerisches Grinsen. »Das bedeutet, Sie wollen, dass wir Telefone anzapfen und E-Mails überwachen.«
    »He, Sie sind der Profi«, erwiderte er mit einem kurzen, schmierigen Zwinkern. »Ich würde Ihnen niemals vorschreiben, wie Sie Ihren Job zu erledigen haben.«
    »Verstehe. Besser, Sie wissen nichts von den
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