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Lebendig und begraben

Lebendig und begraben

Titel: Lebendig und begraben
Autoren: Finder Joseph
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Ohrläppchen baumelten türkisfarbene, emaillierte und frisbeegroße Kupferscheiben.
    Dorothy war eine Ansammlung von Widersprüchen … noch etwas an ihr, das ich mochte. Zum Beispiel ging sie regelmäßig in die Kirche; sie war sogar in die AME Zions Church im South End eingetreten, noch bevor sie eine Wohnung gefunden hatte. Trotzdem war sie keine Kirchen-Lady. Eigentlich sogar das Gegenteil. Sie betrachtete ihren Glauben mit einem fast schon profanen Sinn für Humor. Sie hatte ein Schild an der Abtrennung ihres Büros befestigt, auf dem stand: JESUS LIEBT DICH – ALLE ANDEREN HALTEN DICH FÜR EIN ARSCHLOCH. Es hing direkt neben einem anderen Schild, auf dem stand: ICH LIEBE MARIAS KINDSVATER.
    »Ich glaube, wir müssen regelmäßige Status-Update-Meetings abhalten, wie wir es bei Stoddard getan haben«, sagte sie. »Ich will den Entronics- und den Garrison-Fall noch einmal durchsprechen.«
    »Ich brauche erst mal einen Kaffee«, erwiderte ich. »Und damit meine ich nicht diese Brühe, die Jillian zubereitet.«
    Jillian Alperin war unsere neue Empfangsdame, Büromanagerin und zudem eine strikte Veganerin. Veganismus ist offenbar der paramilitärische Flügel des Vegetarismus. Sie hatte jede Menge Piercings, einschließlich einem an ihrer Lippe, und etliche Tattoos. Eines, das auf ihrer rechten Schulter, zeigte einen Schmetterling. Irgendwann einmal erhaschte ich einen Blick auf einen anderen Schmetterling, direkt über ihrem Steißbein.
    Außerdem war sie eine fanatische Grüne, die sämtliche Plastik- und Styroporbecher aus dem Büro verbannt hatte. Alles musste organisch, ethisch, Freiland, aus fairem Handel und ohne Grausamkeit irgendwem gegenüber produziert sein. Der Kaffee, den sie für unsere Kaffeemaschine bestellte, war aus organischen, fair gehandelten, im Schatten angebauten, ethischen Bohnen, die mit umweltverträglichen Kultivierungsmethoden von einer kleinen Kooperative einheimischer Kaffeepflanzer in Chiapas, Mexico geerntet worden waren. Er kostete etwa so viel wie bolivianisches Kokain und wäre vermutlich selbst von dem Insassen einer Todeszelle ausgespuckt worden.
    »Na, Sie sind ja wirklich wählerisch«, meinte Dorothy. »Gegenüber gibt es ein Starbucks.«
    »Und ein Stück weiter die Straße runter gibt’s ein Dunkin’ Donuts«, erklärte ich.
    »Das soll ja wohl kein Wink mit dem Zaunpfahl sein. Ich bin nicht für den Kaffee zuständig.«
    »Ich würde mich auch hüten, Sie darum zu bitten«, antwortete ich und stand auf.
    Das Telefon bimmelte. Es war das gedämpfte Läuten der internen Leitung. Jillians Stimme ertönte aus der Gegensprechanlage. »Ein Marshall Marcus für Sie.«
    »Der Marshall Marcus?«, warf Dorothy ein. »Der reichste Mann von Boston?«
    Ich nickte.
    »Lehnen Sie diesen Auftrag ab, Nick, und ich versohle Ihnen den Hintern.«
    »Ich bezweifle, dass es sich um einen Job handelt«, erwiderte ich. »Wahrscheinlich ist es etwas Persönliches.« Ich nahm den Hörer ab. »Marshall. Lange her.«
    »Nick«, antwortete er. »Ich brauche deine Hilfe. Alexa ist verschwunden.«

5. KAPITEL
    Marshall Marcus lebte am North Shore, etwa vierzig Minuten von Boston entfernt, in der unglaublich pittoresken Stadt Manchester-by-the-Sea, einer Sommerfrische für die reichen Einwohner Bostons. Sein Haus war riesig und hübsch, eine großzügige Residenz aus Schindeln und Stein, die auf einem Hügel über der zerklüfteten Küste lag. Um das ganze Haus herum führte eine Veranda, und es gab so viele Zimmer, dass man sie nicht zählen konnte. Wahrscheinlich gab es sogar Räume, die nur die Zimmermädchen sahen. Marcus lebte dort mit seiner vierten Frau Belinda. Sein einziges Kind war seine Tochter Alexa. Sie besuchte ein Internat und würde schon bald auf ein College gehen, und nach dem, was sie mir einmal von ihrem häuslichen Leben erzählt hatte, würde sie sich anschließend auch nicht sonderlich oft zu Hause blicken lassen.
    Selbst wenn man von der Straße abgebogen war und Marcus’ Haus in der Ferne bereits sehen konnte, brauchte man noch weitere zehn Minuten, bis man es erreichte. Man fuhr eine schmale, gewundene Küstenstraße entlang, an gewaltigen Cottages und bescheideneren Vorstadthäusern vorbei, die, in der letzten Hälfte des vorigen Jahrhunderts auf kleinen Grundstücken errichtet, von Ostküsten-Bonzen ausaltem Geldadel verkauft worden waren, weil deren Vermögen allmählich schwanden. Ein paar der großartigen alten Residenzen blieben zwar noch in den Händen des
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