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Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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    Der Abendhimmel war mit Streifen, violett wie überreife Pflaumen, durchzogen, und ein leichter Regen hatte eingesetzt, als ich das Ende der Asphaltstraße erreichte, die zwanzig Meilen weit durch eine dichte, beinahe undurchdringliche Vegetation aus Zwergeichen und Kiefern führte und vor dem Eingangstor des Staatsgefängnisses von Angola endete. Vor dem Zaun hatte sich die übliche Gemeinde der Todesstrafengegner zur Andacht versammelt – Priester, Nonnen in Laientracht, Studenten der Louisiana State University mit brennenden Kerzen in der Hand. Doch es gab auch eine andere Gruppe – eine seltsame Mischung aus Burschenschaftlern und Rednecks –, die Bier aus Plastikkühlboxen trank, »Glimme, kleines Glühwürmchen, glimme« sang und Schilder in der Hand hatte, auf denen stand EIN BUDWEISER AUF DICH, MASSINA und JOHNNY, HEUTE DARFST DU SELBER GRILLEN .
    »Ich bin Lieutenant Dave Robicheaux vom New Orleans Police Department«, sagte ich zu einem der Wächter am Tor. Ich zeigte ihm meine Dienstmarke.
    »Oh, jawoll, Lieutenant. Ich hab Ihren Namen auf meiner Liste. Ich fahr mit Ihnen rüber zum Block«, sagte er und stieg in meinen Wagen. Die Ärmel seines Khakihemdes waren über den sonnengebräunten Armen hochgekrempelt, und er hatte die wässerig grünen Augen und kräftigen Backenknochen, die typisch sind für die Leute aus dem nördlichen Hügelland von Louisiana. Er roch leicht nach getrocknetem Schweiß, Kautabak und Talkumpuder. »Ich weiß nicht, welche Bande mich mehr ärgert. Diese religiösen Typen tun so, als würden wir jemand wegen Falschparken grillen, und die Jungs mit den Schildern kriegen offenbar drüben auf der Uni nicht genug zu bumsen. Bleiben Sie bis zum Schluß?«
    »Ne.«
    »Haben Sie den Kerl hopsgenommen, oder was?«
    »Er war bloß ein kleiner Eintreiber, über den ich früher ab und zu mal gestolpert bin. Ich hab ihn aber nie wegen irgendwasdrangekriegt. In Wirklichkeit, glaube ich, hat er mehr versiebt, als er durchgezogen hat. Vielleicht ist er durch ein Arbeitsbeschaffungsprogramm beim Mob gelandet.«
    Der Wachmann lachte nicht. Er blickte aus dem Wagenfenster auf das riesige, flache Areal der Gefängnisfarm und verkniff jedesmal die Augen, wenn wir auf der unbefestigten Straße an einem der Vertrauenshäftlinge vorbeikamen. Der Hauptwohnbereich des Gefängnisses, eine Anzahl einstöckiger Gebäude mit Hochsicherheitszellen, von einem Maschendraht umgeben, durch überdachte Laufgänge und Höfe miteinander verbunden und in ihrer Gesamtheit als der »Block« bezeichnet, war hell erleuchtet und strahlte im Regen wie Kobalt, und in der Ferne sah ich die mit chirurgischer Präzision angelegten Zuckerrohr- und Süßkartoffelfelder, die Silhouetten verfallener Lagerbaracken aus dem neunzehnten Jahrhundert vor dem roten Nachglühen der Sonne, die sich im Wind biegenden Weiden entlang des Mississippiufers, unter denen manch ein ermordeter Häftling begraben lag.
    »Steht der Stuhl noch im Red Hat House?« fragte ich.
    »Ganz genau. Dort kriegen sie Feuer unterm Arsch gemacht. Wissen Sie, woher der Name stammt?«
    »Ja«, antwortete ich, aber er hörte nicht zu.
    »Damals, bevor die Gemeingefährlichen im Block eingesperrt worden sind, mußten sie unten am Fluß arbeiten und diese gestreiften Joppen und rotgefärbten Strohhüte tragen. Abends mußten sie sich dann nackt ausziehen, eine Leibesvisitation über sich ergehen lassen, wurden dann ins Red Hat House getrieben, und ihre Klamotten hat man ihnen hinterhergeschmissen. An den Fenstern war kein Fliegendraht, und die Moskitos haben einen Mann schon zum Christenmenschen gemacht, wo’s ein Baseballschläger nicht geschafft hat.«
    Ich parkte den Wagen, und wir betraten den Block, passierten den ersten Zellentrakt, wo sowohl die kleinen Taschendiebe als auch die gefährlicheren Häftlinge einsaßen, gingen durch den langen, strahlend erleuchteten Gang zwischen den Auslaufhöfen zum nächsten Bereich, kamen, vorbei an einer weiteren hydraulischen Sperre und einem Verbindungsraum, in dem zwei Wachen an einem Tisch Karten spielten und an dessen Wand ein Schildmit der Aufschrift KEINE WAFFEN HINTER DIESEM BEREICH hing, zu den Aufenthalts- und Speiseräumen, wo schwarze Vertrauenshäftlinge mit elektrischen Bohnermaschinen die glänzenden Fußböden polierten, und stiegen endlich die eiserne Wendeltreppe zu dem kleinen Hochsicherheitstrakt empor, in dem Johnny Massina die letzten drei Stunden seines Lebens zubrachte.
    Der Wachmann vom Tor
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