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Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)

Titel: Neonregen (Detective Dave Robicheaux) (German Edition)
Autoren: James Lee Burke
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gewesen und hatte am Rande der Wasserlilien, die sich vom Ufer her ausbreiten, meine künstlichen Fliegen ausgeworfen. Das Land war zu beiden Seiten dicht mit Zypressen bestanden, und es war kühl und still gewesen im grüngoldenen Morgenlicht, das durch das Blätterdach über mir fiel. Die Wasserlilien waren übersät mit violetten Blüten, und ich konnte die Bäume, das Moos, die feuchtgrünen Flechten auf der Rinde und den Duft der karmesinroten und gelben Wunderblumen riechen, deren Blüten an den schattigeren Stellen noch geöffnet waren. Dicht neben ein paar Zypressenwurzeln lag ein Alligator, der mindestens anderthalb Meter lang gewesen sein muß. Nur sein mit kleinen Krebsen und Muscheln bewachsener Kopf und die Augen ragten aus dem Wasser und sahen einem Haufen brauner Steine zum Verwechseln ähnlich. Ein Stück weiter sah ich einen zweiten schwarzen Schatten an einer anderen Zypresse, und ich dachte, es sei vielleicht der Gefährte des ersten Alligators. Dann kam ein Boot mit Außenborder vorbei, und das Kielwasser rollte den Schatten hoch zu den Zypressenwurzeln, und ich sah plötzlich ein nacktes Bein, eine Hand und ein kariertes, von einer Luftblase aufgeblähtes Hemd.
    Ich legte meine Angelrute beiseite, ruderte näher und berührte den Körper mit meinem Paddel. Der Körper drehte sich im Wasser,und ich sah in das Gesicht einer jungen schwarzen Frau, die Augen weit aufgerissen, den Mund geöffnet wie zu einem wässerigen Gebet. Sie trug ein Herrenhemd, das unter der Brust zusammengeknotet war, und abgeschnittene Bluejeans, und einen Augenblick lang sah ich, daß sie eine Zehn-Cent-Münze an einer dünnen Schnur um das Fußgelenk trug. Es war eine Art Glücksbringer, wie ihn manche Acadians und Schwarze trugen, um den gris-gris abzuwehren, eine Art böser Fluch. Ihr junges Gesicht sah aus wie eine Blume, die jemand jählings vom Stengel geschnitten hatte.
    Ich wickelte ihr mein Ankertau um den Knöchel, schleuderte den Anker möglichst weit unter die Bäume am Ufer und band mein rotes Taschentuch an einen der überhängenden Zweige. Zwei Stunden später sah ich zu, wie die Deputies vom Büro des Sprengelsheriffs den Leichnam auf eine Bahre legten und zu einem Krankenwagen trugen, der im Röhricht am Wasser stand.
    »Einen Augenblick noch«, sagte ich, ehe sie sie in den Wagen hievten. Ich lüftete das Tuch, um noch einmal einen Blick auf etwas zu werfen, was mir aufgefallen war, als sie die Leiche aus dem Wasser gezogen hatten. Auf der Innenseite ihres linken Armes waren zahlreiche Nadeleinstiche, während der rechte, soweit ich sehen konnte, nur einen einzigen aufwies.
    »Vielleicht spendet sie beim Roten Kreuz Blut«, sagte einer der Deputies grinsend.
    »Sie sind hier wohl der Alleinunterhalter«, sagte ich.
    »War doch bloß ein Witz, Lieutenant.«
    »Richten Sie dem Sheriff aus, daß ich ihn wegen des Autopsieberichtes anrufe«, sagte ich.
    »Jawohl, Sir.«
    Aber der Sheriff war nie im Büro, wenn ich anrief, und er rief auch nicht zurück. So telefonierte ich schließlich direkt mit dem Büro des zuständigen Leichenbeschauers, und nun erfuhr ich, daß der Sheriff eine Autopsie des toten schwarzen Mädchens für nicht so wichtig hielt. Nun, das werden wir ja sehen, dachte ich.
    In der Zwischenzeit machte ich mir immer noch Gedanken darüber, warum sich diese Kolumbianer – vorausgesetzt Johnny Massina hatte recht – für Dave Robicheaux interessierten. Ich ging alle meine Fälle durch und fand keinerlei Anhaltspunkte. Eshandelte sich aber auch um eine ganze Aktenschublade voller Not und Elend: eine Prostituierte, von einem psychotischen Freier mit dem Eisstößel abgestochen; ein siebzehnjähriger Ausreißer, dessen Vater keine Kaution stellen wollte und der am nächsten Morgen von seinem schwarzen Zellengenossen erhängt wurde; die Augenzeugin eines Mordes, von dem Mann, gegen den sie aussagen sollte, mit einem Hammer erschlagen; ein vietnamesischer Bootsflüchtling, den man vom Dach einer städtischen Mietskaserne gestürzt hatte; drei kleine Kinder, von ihrem arbeitslosen Vater nachts in ihren Betten erschossen; ein Fixer, während einer Satansmesse mit Blumendraht erdrosselt; zwei Homosexuelle, bei lebendigem Leibe verbrannt, als ein abgewiesener Liebhaber das Treppenhaus eines Schwulenlokals mit Benzin getränkt hatte. Meine Schublade war sozusagen das mikrokosmische Abbild einer anomalen Welt, bevölkert von Heckenschützen, mit Rasiermessern herumfuchtelnden Schwarzen, gedankenlosen
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