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Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Die Legende der Wächter 1: Die Entführung

Titel: Die Legende der Wächter 1: Die Entführung
Autoren: Kathryn Lasky
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Damals im Nest

    „Kannst du noch ein paar Flaumfedern erübrigen, Noctus, mein Schatz? Ich glaube, unser drittes Küken ist gleich da. Die Eierschale bekommt schon Risse.“
    „Nicht schon wieder!“, murrte Kludd.
    „Was soll das heißen, Kludd: ‚Nicht schon wieder‘? Möchtest du denn nicht noch ein Brüderchen haben?“, fragte sein Vater ein wenig gereizt.
    „Oder ein Schwesterchen?“ Kludds Mutter seufzte mit dem leisen Pfeifen, das typisch für Schleiereulen ist.
    „Also ich hätte gern ein Schwesterchen!“, piepste Soren dazwischen.
    Kludd drehte sich nach seinem kleinen Bruder um. „Du bist doch selber erst vor zwei Wochen geschlüpft. Was verstehst du schon von Schwestern?“
    Vielleicht, dachte Soren bei sich, sind sie ja netter als Brüder. Schon seit er geschlüpft war, schien Kludd etwas gegen ihn zu haben.
    „Wenn du bald Ästling würdest, dann würde es dir auch nicht passen, ausgerechnet jetzt ein Schwesterchen zu kriegen“, fuhr Kludd mürrisch fort.
    Die Bruthöhle zu verlassen und sich auf einen benachbarten Ast hinauszuwagen, war der erste Schritt in Richtung Fliegen. Als Ästlinge hüpften die Jungvögel von Ast zu Ast und übten sich im Flügelschlagen.
    „Na, na, Kludd!“, mahnte sein Vater. „Nun sei mal nicht so ungeduldig. Schließlich wachsen dir frühestens in einem Monat die ersten Flugfedern. Mit den Ästlingsabenteuern hat es noch Zeit.“
    Soren wollte eben fragen, wie lange ein Monat dauerte, da machte es Knack . Die ganze Eulenfamilie fuhr zusammen. Ein anderer Waldbewohner hätte das feine Geräusch gar nicht wahrgenommen, aber Schleiereulen waren mit einem außergewöhnlich guten Gehör ausgestattet.
    Sorens Mutter rief: „Es kommt! Bin ich aufgeregt!“ Abermals stieß sie einen Seufzer aus und beobachtete gespannt das makellos weiße Ei, das nun hin und her rollte. In der Schale entstand ein winziges Loch, ein kleiner Hornzapfen kam zum Vorschein.
    „Beim Glaux, da ist ja schon die Eischwiele!“, rief Sorens Vater aus.
    „Meine war größer, stimmt’s, Papa?“ Um besser sehen zu können, schubste Kludd Soren beiseite, aber Soren verzog sich einfach unter den Flügel seines Vaters.
    „Das weiß ich nicht mehr, mein Sohn, aber ist das hier nicht eine wunderhübsche Eischwiele? Bei diesem Anblick bin ich jedes Mal ganz aufgeregt. So ein kleines Dingelchen, und pickt sich so tapfer den Weg in die große weite Welt fre i … Bei meinem Muskelmagen, es ist doch immer wieder ein Wunder!“
    Auch Soren kam es wie ein Wunder vor. Gebannt beobachtete er, wie sich jetzt von der kleinen Öffnung in der Schale ausgehend zwei, drei Risse bildeten. Das Ei schaukelte sacht, die Risse wurden länger und breiter. Nicht anders hatte Soren selbst es vor nur zwei Wochen gemacht. War das spannend!
    „Wo ist denn meine Eischwiele geblieben, Mama?“
    „Die ist abgefallen, Dummkopf“, sagte Kludd.
    Sorens Eltern waren vom Schlüpfen ihres dritten Kükens so in Anspruch genommen, dass sie vergaßen, Kludd für seine Grobheit zu rügen.
    „Wo ist Mr s P.? Mr s P.?“, fragte seine Mutter ungeduldig.
    „Bin schon da, gnädige Frau.“ Mr s Plithiver, die alte Blindschlange, die schon viele, viele Jahre im Dienst der Eulenfamilie stand, kam in die Bruthöhle gekrochen. Blindschlangen, die augenlos zur Welt kamen, verdingten sich bei vielen Eulenfamilien als Nesthälterinnen. Sie hielten das Nest sauber und Raupen und andere Insekten daraus fern.
    „Mr s P., bitte sorgen Sie dafür, dass der Winkel, den Noctus mit neuen Flaumfedern ausgepolstert hat, frei von Raupen und Ungeziefer bleibt.“
    „Selbstverständlich, gnädige Frau. Ich kann die Gelege, die ich mit Ihnen zusammen betreut habe, schon nicht mehr zählen.“
    „So war das nicht gemeint, Mr s P. Ich wollte Sie nicht kritisieren. Ich werde nur immer so nervös, wenn wieder eines schlüpft, als wäre es das erste Mal. Ich werde mich wohl nie daran gewöhnen.“
    „Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen, gnädige Frau. Sie glauben doch nicht, dass andere Vögel einen Gedanken darauf verschwenden, ob ihre Unterkunft sauber ist? Was ich über die Möwen gehört hab e … Meine Güte! Bei denen würde ich nicht mal den Kopf ins Nest stecken!“
    Blindschlangen waren sehr stolz darauf, für Eulenfamilien zu arbeiten, denn sie hielten Eulen für die vornehmsten Vögel überhaupt. Blindschlangen waren von Natur aus peinlich auf Sauberkeit bedacht. Sie verachteten andere Vogelarten als unsauber, denn diese besaßen eine
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