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Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer

Titel: Wilsberg 05 - Wilsberg und die Wiedertaeufer
Autoren: Juergen Kehrer
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I
    »Georg, Telefon für dich!«
    Meine Lieblingskellnerin schwenkte den Telefonhörer, und ich versuchte mich verzweifelt zu erinnern, wem ich verraten hatte, dass ich hier und heute im Alcatraz zu finden sei, mal abgesehen davon, dass ich in letzter Zeit fast jeden Abend im Alcatraz gewesen und selten vor Mitternacht wieder herausgekommen war. Genau genommen brauchte ich es also niemandem zu verraten, und diejenigen, die es interessierte, kamen einfach vorbei, tranken ein Glas mit mir und verließen mich dann mit einem aufmunternden Lächeln. Das Lächeln bedeutete so viel wie: es wird schon wieder, du kommst auf die Beine, wenn du nur willst, wenn du aufhörst zu trinken, wenn du mal wieder arbeitest und so weiter und so fort.
    »Georg, nun komm schon!«
    Ja, richtig, jemand wollte mit mir sprechen. Elegant glitt ich vom Barhocker und machte die paar Schritte bis zur Wand, wo mir Anna, inzwischen leicht genervt, den Hörer in die Hand drückte.
    »Wer ist es denn?«, erkundigte ich mich bei ihr.
    »Keine Ahnung, ist so laut hier.« Sprach's, nahm ihr Tablett und verschwand im Gewimmel der Nach-Kinogänger, die sich lautstark erzählten, wie toll das gewesen sei, als sich Bruce Willis zusammen mit dem Hochhaus in die Luft sprengte.
    »Wilsberg«, schrie ich in die Muschel.
    Eine leicht piepsige, aber eindeutig männliche Stimme antwortete.
    »Ich verstehe nichts«, brüllte ich zurück und stopfte mir einen Finger in das unbenutzte Ohr.
    »Monsignore Kratz«, sagte die deutlicher gewordene Stimme. »Wir möchten Sie engagieren.«
    Ich lachte. »Aber, aber, Herr Monsignore! Was soll der Scheiß?«
    »Das ist kein Scherz. Wir bieten Ihnen eine anständige Bezahlung.«
    Ich überlegte krampfhaft, wem die piepsige Stimme gehörte. Aber ich kam nicht drauf. »Wenn das ein Witz sein soll …«
    »Ich gebe Ihnen mein Wort als Geistlicher.«
    »Sie meinen, Sie sind wirklich ein Monsignore?«
    »Ja. Ich arbeite im Bischöflichen Generalvikariat.«
    Wenn mich jemand verarschen wollte, tat er das ziemlich gründlich. »Offen gestanden, habe ich mit der katholischen Kirche nichts am Hut.«
    »Wir wollen Sie ja auch nicht bekehren, wir wollen Sie mit einer Aufgabe betreuen.«
    »Und warum?«
    »Das kann ich Ihnen am Telefon nicht erklären. Kommen Sie bitte morgen früh um zehn Uhr in das Bischofspalais.«
    Ich lehnte mich an die Wand und steckte mir einen Zigarillo ins Gesicht. »Das reicht nicht«, brummte ich in den Hörer. »Ich arbeite nicht für jeden.«
    Die Stimme des Monsignore wurde etwas weniger pastoral. »Wir haben Sie nicht ausgesucht. Sie sind uns empfohlen worden.«
    »Von wem?«
    »Auch das darf ich Ihnen nicht sagen.«
    »Hören Sie mal, Herr Monsignore …«
    »Kratz.«
    »… Kratz: Bei meiner Arbeit habe ich ein paar Grundsätze. Unter anderem verkaufe ich mich nicht an die Mafia, den Unternehmerverband und die katholische Kirche, falls das nicht sowieso ein und dasselbe ist.«
    »Weg da!« Anna schubste mich zur Seite, weil ich die Durchreiche zur Küche versperrte.
    Kratz stöhnte. »Machen Sie es uns nicht unnötig schwer, Herr Wilsberg. Wir wissen, dass Sie finanziell, nun, wie soll ich sagen, nicht in der besten Lage sind.«
    Was die Kirche alles wusste! Vermutlich hatte mein Vermieter seinen Mietwucher gebeichtet oder die böse Absicht, mich aus dem Haus zu werfen, falls ich nicht bald die rückständige Miete bezahlte. Tatsächlich befand ich mich, sah man mal von der ganzen Schönfärberei ab, im freien Fall Richtung Armut.
    »Können Sie nicht einen Vorschuss von zehntausend Mark gut gebrauchen?«
    Ein ganzes Gläschen Adrenalin gluckste durch meine Adern. Plötzlich sah ich einen Haufen Geldscheine vor mir. »Sagten Sie: zehntausend Mark?«
    »Richtig. Als Vorschuss. Bei Erfolg winkt Ihnen eine weitere Prämie.«
    »Georg, du stehst im Weg.« Anna balancierte ein gefährlich beladenes Tablett an meiner Nase vorbei. Ich strahlte sie an. »Warum haben Sie das nicht gleich gesagt, Herr Kratz?«
    »Ich finde es bedauerlich, dass in unserer Welt allein materielle Reize zählen.«
    »Sie vielleicht. Ich mag materielle Werte. Mehr als die höheren.«
    »Also dann!« Kratz wurde beinahe geschäftsmäßig. »Kann ich morgen früh mit Ihnen rechnen?«
    »Rechnen Sie, Herr Kratz, rechnen Sie!«
    Er legte auf. Versonnen starrte ich auf den Hörer. Zehntausend Mark. Damit konnte ich fünf Monatsmieten und auch noch meine Rechnung im Alcatraz bezahlen.
    Anna nahm mir den Hörer aus der Hand und hängte ihn
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