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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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    Heute, am 27. Januar des Jahres 173 nach dem neuen Kalender, habe ich meine Arbeit abgeschlossen – fast auf den Tag genau hundert Jahre, nachdem am kosmischen Horizont die große Gefahr aufzog. Und nun frage ich mich allen Ernstes, warum ich diesen Bericht geschrieben habe. Warum habe ich mit dem altertümlichen Schreibstift Wort für Wort auf das noch altertümlichere Papier gemalt? Warum – wo doch die Ereignisse, um die es hier geht, in ein paar Tausend Speicherkristallen vollständiger, präziser und dauerhafter aufbewahrt sind?
    Ich weiß nicht genau warum. Mein persönlicher Anteil an den Ereignissen war bescheiden. Ich war einer der vielen Tausend Kosmonauten, die schließlich – dank der Warnung unserer fernen Freunde – die Gefahr bannen konnten. Im Jahre 85 nach dem neuen Kalender meldete ich mich – zwanzigjährig – zur Raumflotte. An der direkten Bekämpfung der Gefahr, die den letzten Teil dieses Berichts ausmacht, nahm ich zunächst als Triebwerksingenieur, dann in verschiedenen Positionen und schließlich als Kommandant eines Raumschiffes teil. Die meisten der heute schon historischen Persönlichkeiten habe ich gekannt und in gemeinsamer Arbeit erlebt, so daß ich mir nur für den ersten Teil des Berichts einige gestalterische Freiheiten nehmen mußte. Soviel zu meiner Person, die aber im Bericht selbst nicht erscheint.
    Wenn ich sage, ich weiß nicht genau, warum ich diesen Bericht niederschrieb, so gilt das natürlich nur in einem tieferen Sinn. Gründe dafür könnte ich eine Menge anführen. Jeder kennt heute die großen Namen, die mit dieser Zeit verbunden sind, und es wird interessieren, sie aus dem Blickwinkel eines Zeitgenossen kennenzulernen. Auch fehlt bisher ein umfangreiches literarisches Werk über diese erregenden zwei Jahrzehnte – wahrscheinlich wegen des Sprachengewirrs im kosmischen Dienst, das ich umgangen habe, indem ich mich kurzerhand auf meine Muttersprache beschränkte. Und letztlich handelt es sich ja um das größte und schwierigste Unternehmen, das die Menschheit in ihrer ganzen bisherigen Geschichte bewältigen mußte – ausgenommen vielleicht jenes 20. Jahrhundert früherer Zeitrechnung, in der sie die alten, vorgeschichtlichen Verhältnisse überwand und damit neben vielem anderem auch jeden Mißbrauch der Kernenergie unmöglich machte.
    Aber wer könnte sich jene Zeit heute noch vorstellen? Und wer wird sich in hundert oder zweihundert Jahren unsere Zeit noch vorstellen können? Ereignisse, Schicksale und Erlebnisse von Menschen, die vergangen sind, werden von Generation zu Generation auf immer kürzere Formeln gebracht. Das ist normal, weil die Menschheit vorwärtsblickt. Vielleicht aber war der Wunsch eines nun schon alternden Mannes, dieses historische Vergessen etwas aufzuhalten, der tiefere Grund für diese Niederschrift.
    Der ehemalige Kommandant von RS GAMMA 34
     

I
    Die SIRIUS, das fünfte und modernste Raumschiff der Stella-Serie, dazu bestimmt, die Kometen außerhalb der Neptunbahn zu erforschen, hatte abgelegt und schwebte etwa 500 Meter neben der Raumstation ZETA. Die Besatzung hatte die Plätze eingenommen, Kapitän und Pilot saßen an ihren Pulten in der Zentrale.
    Der große Bildschirm, der die Wand vor den Pulten einnahm und während des Fluges zur direkten Beobachtung diente, zeigte jetzt das Gesicht des Leiters der Station ZETA, dem das Raumschiff nach dem Reglement bis zum Verlassen der Parkbahn unterstand und der die traditionelle Formel des Startbefehls zu sprechen hatte. Er lächelte. „Noch eine Minute. Pilot, überprüfen Sie die Startbereitschaft!“
    Der Pilot drückte eine Taste, und unter dem Bildschirm leuchteten vier Farbkreise auf. Nur das Zentrum des rechten Kreises hatte sich etwas verschoben – es zeigte das Vorhandensein der Station an. Die anderen waren gleichmäßig wie eine Torte in Sektoren der Spektralfarben aufgeteilt. „Startbereit!“ meldete der Pilot.
    Das Gesicht auf dem Bildschirm wurde ernst. „Ich befehle den Start des Raumschiffes SIRIUS! Ich zähle die verbleibenden Sekunden: zehn – neun – acht – sieben –“ Plötzlich knackte es, die Stimme verstummte, und der Bildschirm erlosch.
    Der Pilot sah den Kapitän an. „Verdammter Formelkram“, murrte er. Über das Gesicht des Kapitäns, eines blonden Mittdreißigers, zogen, schnell einander ablösend, die verschiedensten Regungen: Besorgnis, Ärger, Unruhe, Verdruß. „Jeder bleibt an seinem Platz“, befahl er endlich, mehr um
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