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Ein Stern fliegt vorbei

Ein Stern fliegt vorbei

Titel: Ein Stern fliegt vorbei
Autoren: Karl-Heinz Tuschel
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überhaupt etwas zu sagen, denn unter der zweiunddreißigköpfigen Besatzung gab es keinen Neuling, der das nicht hundertmal geübt und nicht auch schon ein paarmal erlebt hätte.
    „Dieses ganze blöde Reglement sollte man…“, begann der Pilot zu schimpfen, aber da flammte der Bildschirm wieder auf, und er behielt seinen Vorschlag für sich. Der Stationsleiter lächelte zerstreut von der Wand herab und sagte in einem Ton, als sei das ganz nebensächlich: „Die Weltraumbehörde hat im letzten Augenblick Startverbot für die SIRIUS verhängt. Weitere Anweisungen sollen folgen. Kapitän, bitte kommen Sie zu einer Lagebesprechung auf die Station herüber. Ich schicke Ihnen eine von unseren Operativraketen. Ende.“ Mit ausdruckslosem Gesicht schnallte der Kapitän die Sicherungsgurte los, die ihn an seinem Sitz festhielten. Mit den Zehen gab er sich einen leichten Schwung, so daß er auf die Tür zuschwebte. Der Pilot folgte ihm, um ihm beim Anlegen des Schutzanzuges zu helfen und die Schleuse zu bedienen.
     
    Die Raumstation ZETA, ein großes, schnell rotierendes Rad mit drei Liftspeichen, die in der Mitte zur Start- und Landenabe zusammenliefen, war die erdfernste bemannte Raumstation – genauer: die Station mit der erdfernsten Bahn, fast kreisförmig und mit einem Apogäum von etwa 10 000 Kilometer. Sie diente astronomischen und astrophysikalischen Aufgaben und eben zuweilen auch als Ausgangspunkt interplanetarer Raumflüge.
    Der Arbeitsraum des Leiters der Station war ausgesprochen irdisch eingerichtet. Es gab da richtige Möbel, genauso unverbindlich freundlich und ein wenig abgenutzt wie in jedem beliebigen Bürohaus auf der Erde, nur daß sie hier am Boden festgeschraubt waren – für den Fall, daß aus irgendwelchen Gründen einmal die Rotation eingestellt werden mußte, womit dann die Fliehkraft aufhörte, die die Gravitation wenigstens teilweise simulierte. Das kam zwar nicht häufig, aber doch von Zeit zu Zeit vor.
    Duncan Holiday, der Stationsleiter, war ein hagerer Mann Mitte Vierzig. Mit dreißig Jahren hatte er als kommendes Genie auf dem Gebiete der Energetik gegolten, und niemand wußte eigentlich so recht, weshalb er sich heute, in dem Alter, in dem der Mensch erst beginnt seine höchste Leistungsfähigkeit zu erreichen, mit diesem ziemlich untergeordneten Posten begnügte.
    Er stand gerade mit dem Rücken zur Tür und hielt die Teekanne in der Hand, als der Kapitän der SIRIUS eintrat. „Nimm Platz, Henner, ich bin gleich soweit“, bat er, ohne sich umzudrehen. „Konnt ich mir denken“, brummte der Kapitän. „Von dir aus kann die Welt untergehen, nicht mal das würde dich aus der Ruhe bringen.“
    Duncan schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Stimmt nicht. Woher sollte ich dann meinen Tee kriegen?“ Er schnitt eine Grimasse.
    Die Gelassenheit, die der Stationsleiter zur Schau trug, reizte den Kapitän noch mehr. Heinrich Hellrath hatte zehn Jahre Streckendienst auf Lastraketen hinter sich, davon allein acht Jahre auf der Linie Erde-Mond-Erde, obwohl er das Patent für Große Reise in der Tasche trug und als hervorragender Astronaut bekannt war. Mehrere große Chancen hatte er ausgeschlagen, weil seine Frau Sabine und er sich nicht trennen wollten, später dann auch wegen der Kinder, an denen sie beide sehr hingen.
    Nun aber, da die Kinder aus den ersten Jahren heraus waren, schien mit dieser Expedition endlich die große, gemeinsame Aufgabe für ihn als Kapitän und seine Frau als Ärztin gekommen zu sein, die Stunde, der sie entgegengefiebert hatten, und da – Startverbot!
    „Das tut gut“, sagte Duncan Holiday, der einen Schluck getrunken hatte und nun mit zusammengekniffenen Augen die Farbe des Tees in der Tasse prüfte. „Aber du darfst ihn nicht kalt werden lassen.“
    In zerstreutem Gehorsam setzte Hellrath die Tasse an den Mund – und verbrannte sich die Lippen. Das brachte seinen Groll zum Überlaufen. Er schimpfte auf Duncan, auf den Diensthabenden, auf die Raumbehörde – bis er Holidays prüfenden Blick bemerkte, der jetzt nicht mehr den Tee, sondern sein Gesicht musterte.
    „Und wer sagt dir“ – Holiday machte eine Pause –, „daß nicht ein viel größerer Auftrag auf dich wartet als die Kometen?“ Er griff unter den Tisch, zog ein Fernschreiben hervor und reichte es dem Freund. „Inzwischen eingetroffen.“
    Der Kapitän nahm das Blatt mit einem Gesicht, auf dem sich der Ärger noch der Beruhigung widersetzte. Er las:
    Der Chef der Weltraumbehörde ordnet
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