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Zwölf um ein Bett

Zwölf um ein Bett

Titel: Zwölf um ein Bett
Autoren: Monica Dickens
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ERSTES KAPITEL
     
     
    D ie Motte, die während der letzten zehn Minuten immer wieder wie toll gegen seinen Lampenschirm geflattert war, fiel plötzlich auf eine Seite seines aufgeschlagenen Buches und blieb wie betäubt dort liegen. Nur ein fast unmerkliches Tasten der Fühler zeigte, daß sie noch lebte. Da das Buch Oliver sehr fesselte, las er weiter, bis er an die Stelle kam, die von der Motte verdeckt wurde. Schon hob er das Buch, um die Motte aus dem Fenster zu schütteln, als sein Auge von der Zeichnung der Flügel und der makellosen Vollkommenheit dieses unscheinbaren, winzigen Lebewesens gefangen wurde.
    Sie hatte ihre Flügel nur halb entfaltet, die unteren waren noch fast verdeckt von den oberen. Es schien, als ob Tausende winziger Fibern zu einem graubraunen Muster verwebt wären, gleich einem kostbaren Schal oder auch einer Seidentapete. An den muschelförmig gebogenen Rändern, aus denen seidige Härchen schimmerten, verfärbten sich die Fibern zu einem Fries in dunklerem Braun, der an genau der gleichen Stelle auf den unteren Schwingen weiterlief, so daß sich bei voll entfalteten Flügeln das Muster ununterbrochen fortsetzte. Diese Motte, lästig, wenn sie sich immer wieder an seiner Lampe zu Tode stoßen wollte, war wirklich ein Prachtexemplar, ein Wunder vollkommener Kunstfertigkeit, unnütz verschwendet an ein Leben nur für eine einzige Nacht. (Wirklich nur für eine einzige Nacht? Er mußte jemanden bitten, ihm ein Buch über Motten aus der Bibliothek zu besorgen. Es müßte ein reizvolles Studium sein in diesen Septembernächten unter dem offenen Fenster.)
    Wären diese Schwingen ein Schal oder eine Seidentapete, so hätte man Monate oder Jahre mühevoller, augenzehrender Arbeit an dieses Spinnwebmuster wenden müssen; es könnte eine Lebensarbeit sein. Man könnte vielleicht blind darüber werden oder sterben und nicht ahnen, daß dieses Werk Jahrhunderte überdauern würde.
    Aber die Natur, die solche Wunder täglich in millionenfacher Ausfertigung ausschüttete, konnte es sich leisten, sie an Eintagsgeschöpfe wie diese Motte zu verschwenden, um sie dann, bar jeden Schutzes, an einer Mottenkugel oder einer Fensterscheibe enden zu lassen. Konnte diese Motte, sinnierte Oliver, nicht eigentlich von Glück sagen, daß ihr soviel Aufmerksamkeit gewidmet wurde?
    Sie hatte einen samtenen Kopf und einen bestäubten Leib. Ihr Schwanz war ein sandfarbener Tuff feinster Härchen. Unglaublich, daß etwas so Weiches dennoch ein so metallisches Geräusch beim Anprall an die Decke und den pergamentenen Schirm der Lampe machen konnte. Jetzt schien sie zur Ruhe gekommen zu sein und hob doch wieder den Kopf, als hätte sie die Absicht, das Spiel von neuem aufzunehmen. Oliver hob sein Buch und schüttelte es über dem Fenster. Seltsamerweise blieb die Motte haften. Er schlug von unten gegen das Buch, und sie war verschwunden, vielleicht nur, um wiederzukommen und ihm in selbstmörderischer Lust wieder Gesellschaft zu leisten, herumschwirrend und gegen seine Nachttischlampe prallend. Plötzlich fiel etwas Widerwärtiges auf sein Bett, krabbelte dort herum und sah ihn an. Es war ein grünschwarzer, geflügelter Käfer mit Panzern wie gepreßtes Leder, mit Scheren und einem bösartig behelmten Kopf. Motten waren immerhin schön, aber dies da gehörte entschieden zu den Nachteilen eines Bettes am Fenster. Er schüttelte sein Bett, der Käfer wurde in die Luft geschleudert und landete rücklings auf seinem polierten Nachttisch. Dort zappelte er hilflos wie ein dummes Schaf, und all seine Beine vollführten rasende, völlig nutzlose Bewegungen. Er beobachtete das Tier, bis es mit seinem wilden Gezappel eine Kante seines Nachttisches erreichte und hinunterfiel.
    Als Oliver auf die Uhr sah, stellte er fest, daß er fast eine halbe Stunde mit Motten und Käfern vertan hatte. Früher, ehe der neue Abschnitt seines Lebens begonnen hatte, schien es nie so viel Zeit zu müßigem Sinnieren gegeben zu haben. Bewegten ihn Gedanken, so gab er ihnen sofort Ausdruck; Naturerscheinungen und menschliche Charaktere zeichneten in seinem Geist nur eine flüchtige Spur. Tauchten solche Gedanken auf, so mochten sie im Augenblick immerhin von gewissem Reiz sein und spürbare Empfindungen oder flüchtige Ideen wecken, aber seine Aufmerksamkeit wurde von so viel kräftigeren Dingen angezogen, daß er weitereilte, und die unentwickelten Gedanken fielen wieder ins Leere wie Küken aus einem Nest. Jetzt erkannte er klar, wieviel wichtige
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