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Zwölf um ein Bett

Zwölf um ein Bett

Titel: Zwölf um ein Bett
Autoren: Monica Dickens
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Dinge seinem oberflächlichen Auge entgangen waren, und doch war er überrascht, was alles sein Geist aufgenommen und im Untergrund bewahrt hatte. Jetzt, da diese Rückerinnerungen zu seinen Lieblingsbeschäftigungen gehörten, um die Zeit zu vertreiben, fiel ihm manches wieder ein, was er damals nur halb aufgefaßt hatte.
    Hätte ihm früher jemand erzählt, es wäre möglich, sich eine halbe Stunde lang mit Betrachtungen über die Maserung eines Rosenblattes oder das Muster eines Mottenflügels zu beschäftigen und dabei glücklich zu sein — er hätte es abgelehnt und nicht auf sich gemünzt. Yogis und Dichter und Philosophen taten so etwas zweifellos, aber doch kein tätiger junger Mann, der es schon schwierig fand, bei einem Theaterstück bis zum Ende still zu sitzen. Jetzt hatte sich das geändert. Er war durch Zeiten der inneren Zermürbung und Verbitterung gegangen, Zeiten, in denen er sich gegen jedes Besänftigen oder Resignieren auflehnte. Alles dies hatte er im Lazarett durchgemacht: Nächte und Nächte kämpfte er mit seinem Bettzeug, liefen seine Gedanken im Kreise wie ein gefangenes Eichhörnchen, rauchte er eine Zigarette nach der anderen und verfolgte die Nachtschwester mit weit offenen Augen, bis sie ihm schließlich mehr aus Überdruß als aus Mitleid eine jener Tabletten gab, die er nach Meinung der Ärzte nicht mehr brauchte. Er wollte sie nicht nehmen. Er versuchte, der Schwester die Nutzlosigkeit dieser Tabletten auseinanderzusetzen, aber bei seinem erregten Geflüster blickte sie gleich besorgt zu den anderen schlafenden Patienten hinüber. Gewiß, die Tabletten schläferten ein, aber am nächsten Morgen war alles doppelt so schlimm, wenn die Wirklichkeit, die beim ersten Erwachen weit entrückt war, mit verstärkter Gewalt über ihn hereinbrach.
    Der Übergang zu einem zufriedenen, beschaulichen Leben war so Schritt für Schritt vor sich gegangen, daß man schwer sagen konnte, wie es eigentlich dazu gekommen war. Es ging Hand in Hand damit, daß seine Schmerzen seltener und weniger heftig auftraten. Als es ihm möglich war, länger als fünf Minuten in der gleichen Lage bequem zu verharren, wurde es ihm auch möglich, ein Kapitel eines Buches hintereinander zu lesen. Nachdem er sich weniger mit sich selber beschäftigte, nahm er wohlwollenden Anteil an der Geistesarbeit anderer Menschen, anstatt beim Lesen ungeduldig zu werden und nur den Wunsch zu haben, der Verfasser möge neben seinem Bett stehen, damit er ihm das Buch an den Kopf werfen könnte. Anfangs mißtrauisch, dann mit steigendem Eifer, griff er zu Dichtern, die ihn in seiner Schulzeit völlig fremd erschienen waren. Er entdeckte, daß Shakespeare, Dickens, Thackeray und Stevenson die öden Pausen zwischen Lunch und Tee verschönern konnten, in denen anscheinend alle außer ihm Schlaf fanden. Lange Zeit widerstrebte ihm Jane Austen, der er mißtraute, seit er deren Ausführungen über »Stolz und Vorurteil« unter den Schulbüchern seiner Schwester gesehen hatte. Jetzt las er gerade »Emma«, und die Motte war auf die Beschreibung von Woodhouses Hypochondrie gefallen.
    Er wollte gerade weiterlesen, als sich die an der gegenüberliegenden Wand im Schatten liegende Tür öffnete und seine Mutter mit der heißen Milch auf einem Tablett hereinkam. Sie war eine Künstlerin im Decken von Krankentischen, in Arrangements auf Tabletts und im Servieren kleiner Delikatessen in verschiedenen Schüsselchen. Es brauchte Zeit, aber sie machte es ganz wunderhübsch: ein fleckenloses Tablettdeckchen, Glas, Porzellan und Silber auf Hochglanz poliert, nichts vergessen, heiße Speisen brodelten noch, und kalte Speisen waren eiskalt, nicht zu viel, aber mehr von allem war in der Küche, kein Klatsch Butter, sondern betaute Butterkringel, morgens die Zeitung frisch und unzerknittert, statt mit der Innenseite nach außen und verschmierten Marmeladenresten vom Frühstück anderer. Oft waren Blumen dabei — ein paar Stiefmütterchen oder ein Zweig Heckenrosen oder eine Gartenrose in einer kleinen Kristallvase, die sie nur für ihn bereit hielt. Wenn irgend möglich, brachte sie ihm die Mahlzeiten selber. Niemandem, nicht einmal der Pflegerin traute sie zu, daß alles ordentlich gemacht wurde. War sie zum Lunch eingeladen, so war ihr Vergnügen daran durch den Gedanken an Oliver getrübt. Ehe er der Obhut von Mrs. Cowlin anvertraut wurde, gab Mrs. North so viele Anweisungen und Ermahnungen, daß die arme Frau ganz verängstigt war und man fürchten
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