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Vampyr

Vampyr

Titel: Vampyr
Autoren: Brigitte Melzer
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Unsägliche Hitze. Der Geruch von brennendem Fleisch – ihrem Fleisch –, der sich beißend in ihrer Nase festsetzte. Das Feuer zehrte an ihrem Leib und fraß das Leben heraus. Flammen leckten über ihr Gesicht, wie ein hitziger Liebhaber, dessen feuriger Kuss ihre Schönheit zerfließen ließ, als wäre sie eine Maske aus Wachs. Längst hatte sie aufgehört sich gegen die Ketten zu wehren, mit denen die Wachen sie an den Pfahl gebunden hatten.
    Das Ende war nah.
    Wie sehr hatte sie den Tod herbeigesehnt, als die ersten Flammen über ihren Leib gezüngelt waren. Jetzt wollte sie ihn nicht mehr. Jenseits allen Schmerzes und der Angst lag der drängende Wunsch nach Vergeltung. Bezahlen sollt ihr! Alle, die ihr dasteht und zuseht, wie ich brenne! Ihr eigener Bruder hatte sie ausgeliefert! Er hatte Dinge gesehen, die nicht für seine Augen bestimmt waren. Ihr Blick fiel auf die Kinderleichen, die die Männer aus ihrem Versteck geborgen und am Rande des Burghofes abgelegt hatten.
    Die Hitze raubte ihr den Atem, brannte in ihren Lungen, die sich immer wieder krampfartig zusammenzogen, dennoch hörte sie nicht auf, zu schreien. Die Ruinen ihrer Lippen formten die Worte, derer sie sich so viele Jahre bedient hatte, um ihn zu rufen. Sie rief nach dem Unendlichen und erflehte seine Hilfe.
    Während das Leben aus ihrem Körper wich, glaubte sie etwas zu sehen. Zuerst nur ein Gesicht, schließlich eine menschliche Form, die sich langsam aus den Flammen löste. Dann senkte sich die Dunkelheit über ihren Geist. Ihre Seele entstieg ihrem Körper, bereit ins Reich des Todes überzugehen. Doch die Hitze hielt sie gefangen, hinderte ihre Seele daran, die erlösende Schwelle zu übertreten. Sie sah sich selbst, bis zur Unkenntlichkeit verbrannt – noch immer an den Pfahl gekettet, der ihren toten Leib auf dem Scheiterhaufen hielt. Schreie überlagerten das wütende Fauchen des Feuers, doch dieses Mal waren es nicht ihre eigenen.
    Als die lodernde Gestalt des Unendlichen ihren toten Leib emporhob und damit den Lohen des Scheiterhaufens entstieg, brandete wilder Triumph in ihr auf. Unter den Clanskriegern brach Panik aus. Die Männer begannen zurückzuweichen, bis der Priester, der sie zum Tod in den Flammen verdammt hatte, allein vor dem Scheiterhaufen stand: ein Gebet auf den Lippen, das schmucklose Kreuz, das er an einer Kette um den Hals trug, hoch erhoben.
    Den Unendlichen vermochte das nicht aufzuhalten.
    Er legte ihren Leichnam in den Staub. Die Flammen, die seinen Leib umspielten, erstarben und gaben den Blick auf seine schattenhafte Silhouette frei. Die Welt um sie herum erstarrte, als der Unendliche sich über seine Dienerin beugte und seine Lippen auf ihre presste. Ein heftiger Ruck erschütterte ihre Seele, zog sie fort von den Grenzen des Todes, zurück in ihren Körper.
    Der Kuss des Unendlichen bewahrte sie vor dem Ende, doch es war nicht der Atem des Lebens, den er ihr einhauchte. Es war etwas anderes, ungleich Mächtigeres, das ihren Leib sich in seinen Armen aufbäumen ließ. Ihre Zähne gruben sich in seine Lippen, schmeckten das Blut, das daraus hervorquoll. Ihr Herz begann nicht zu schlagen. Ebenso wenig erfüllte ein einziger Atemzug ihre verbrannten Lungen, als sie sich in seinem blutigen Kuss verlor. Ihre verkohlte Haut glättete sich, wurde blutrot, dann rosig. Neues Haar spross und fiel in goldenen Locken über ihre zarten Schultern. Beseelt von dem Wissen um ihre neue Macht und dem Durst nach Rache erhob sich die Ushana.

Glen Beag –
Schottische Highlands im Jahre 1727

1
    Bleiern graue Unwetterwolken hingen über Asgaidh, als trachteten sie danach, den Ort unter ihrer Last zu erdrücken. Trübes Tageslicht quoll zäh durch die Gassen, ohne mehr als einen geisterhaft grauen Schimmer auf dem regennassen Kopfsteinpflaster zu hinterlassen. Catherine strich sich eine feuchte Locke aus der Stirn und zog ihren Umhang enger, um sich vor der Novemberkälte zu schützen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und schaute über die Köpfe der Menschen hinweg, die sich vor dem Podium im Zentrum des Marktplatzes versammelt hatten. Der Regen hatte das Holz des Podestes dunkel gefärbt. Lediglich unter dem Samtbaldachin war ein helles Quadrat trocken geblieben. Noch war der Holzthron darunter leer, doch bald würde er kommen: Martáinn MacKay, der Earl von Glen Beag und einst ihr Freund. Ein Freund, dem sie heute nicht mehr unter die Augen zu treten wagte.
    Ein Ellbogen traf Catherine in die Seite. Die Menschen
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