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Cut

Cut

Titel: Cut
Autoren: Amanda Kyle Williams
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    M ein Name ist Keye Street. Der Vorname stammt von meinem asiatischen Großvater, den Nachnamen haben mir meine Adoptiveltern verpasst. Von Beruf bin ich Detektivin, genauer gesagt Privatdetektivin, ich arbeite fürs Gericht und als Kautionseintreiberin. Ansonsten bin ich trockene Alkoholikerin und leidenschaftlicher Fan von Krystal Cheeseburgern und Krispy Kreme Donuts. Früher war ich mal psychologische Gutachterin für das FBI. Wie ich hier im Süden im tiefsten Georgia gelandet bin, wo jemand mit meinem Äußeren von den Einheimischen immer noch als gottverdammte Fremde tituliert wird, und wodurch ich mich für die übrige Welt wie eine Hinterwäldlerin anhöre, ist ein Rätsel, das mir Emily und Howard Street nie ganz enthüllt haben. Ich weiß nur, dass der Kinderwunsch der beiden so groß gewesen sein muss, dass sie eine chinesisch-amerikanische Göre mit zweifelhaften Genen aus einem Waisenhaus adoptierten. Meine Großeltern und Vormunde waren ermordet worden, meine biologischen Eltern waren drogenabhängig, das Geld dafür verdiente meine Mutter mit Strip-Tanz. Ich habe keine Erinnerung an sie. Kurz nach meiner Geburt haben sie sich auf und davon gemacht. Mein Chinesisch ist quasi nonexistent, aber meine Adoptivmutter, Emily Street, die sich wie keine Zweite auf Andeutungen und Anspielungen versteht, hat mir eine Menge über die subtile und passiv aggressiveSprache der Frauen des Südens beigebracht. Eigentlich hatten sie ein niedliches weißes Kind haben wollen, doch irgendetwas in der Vergangenheit meines Vaters, etwas, womit sie partout nicht herausrücken wollen, hat ihnen das unmöglich gemacht. Ich habe schnell begriffen, dass die Menschen im Süden ungeheuer verschlossen sind.
    Als Kind fand ich den Süden toll, ich liebte ihn und liebe ihn noch heute. Man lernt, ihm die Engstirnigkeit und alle Übel zu verzeihen, denn der Süden hat ein großes Herz. Man verzeiht ihm die schwülen Sommer, weil im Frühling alles blüht und gedeiht, weil der November mit einem üppigen Farbenspiel aufwartet, weil die Winter mild und kurz sind, weil Maisbrot und süßer Tee und Brathuhn genauso zu einem Sonntag gehören wie das Sichherausputzen für die Kirche und weil jeder waschechte Südstaatler bitte und danke sagt. Der Süden bedeutet Sonnenschein und Sommerwein, Kiefernwälder und dicke, selbstgezogene Tomaten. Hier kann man die Aprikosen direkt vom Baum pflücken und sich den Saft übers Kinn tropfen lassen. Hier schätzt und respektiert man die Nachbarn aus Alabama, die sonst überall die Zielscheibe einschlägiger Witze über den Süden sind. Der Süden geht einem ins Blut und sitzt einem in den Knochen. Nicht ich bin ein Teil des Südens, der Süden ist ein Teil von mir. Von einem Landstrich geprägt zu sein ist eine romantische Vorstellung. Aber hier unten sind wir alle ziemlich romantisch. Hier ist jeder Rhett Butler und Scarlett O’Hara und Rosa Parks in einem.
    Mein afroamerikanischer Bruder Jimmy, den meine Eltern zwei Jahre nach mir adoptierten, hat völlig andere Erfahrungen gemacht. Da wir keine Weißen sind, hatten wir beide gegen Ignoranz und Klischees zu kämpfen, aber ich kam dabei noch besser weg als Jimmy. Die Leute waren oft überrascht,dass ich Englisch konnte, und fanden es entzückend, dass ich es wie eine echte Südstaatlerin sprach. Außerdem nahmen sie an, dass ich wegen meiner asiatischen Herkunft besonders gescheit war. Man erwartete von mir nicht nur, dass ich mich hervortat, man ermunterte mich regelrecht dazu. Die gleichen Leute hätten nachts die Straßenseite gewechselt, um meinem Bruder aus dem Weg zu gehen. Ein schwarzer Junge konnte nur gefährlich sein. Von unserer Mutter hatte er den Dialekt der Küste Carolinas übernommen, der eigentlich den weißen Südstaatlern in vorwiegend weißen Vierteln vorbehalten war. In einer Zeit, in der Vielfalt nicht gerade geschätzt wurde, konnte mein Bruder in keiner Gemeinschaft einen Platz finden und begann schon während der Highschool, sich an Universitäten der Westküste zu bewerben und sorgfältig seine Flucht vorzubereiten. Jimmy plant alles durch. Und er ist immer vorsichtig. Nie überzieht er sein Konto, er ist noch nie entlassen worden, hatte nie Drogenprobleme und ist noch nie nach ein paar Gläsern zu viel die Fifth Avenue in New York runtergejagt, hat seinen Kopf durchs Sonnendach gesteckt und seine Freude herausgebrüllt, so wie ich. Jimmy ist ein anständiger Junge. Er lebt jetzt mit Paul, seinem Liebhaber, in Seattle, und
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