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Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels

Titel: Chroniken der Weltensucher 04 - Der Atem des Teufels
Autoren: Thomas Thiemeyer
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    Am 27. August des Jahres 1883 ereignete sich in der Meerenge zwischen Sumatra und Java eine der schrecklichsten Naturkatastrophen der Neuzeit: die Explosion des Vulkans Krakatau.
    Bereits am Tag davor konnten die Bewohner des tropischen Inselparadieses ein dumpfes Grollen hören, das nicht mehr aufhören wollte. Schwarze Wolken stiegen zum Himmel auf und breiteten sich rasch aus. Am Nachmittag war es dunkel wie in der Nacht. Feuer schoss zum Himmel, dann begann es übel riechenden Schlamm zu regnen. Das Tosen wurde immer lauter. Am Morgen des darauffolgenden Tages war es bereits ohrenbetäubend. Eine Steigerung schien unmöglich, als kurz vor Mittag ein gigantischer Knall die Luft zerriss – so gewaltig, dass er noch in fünftausend Kilometer Entfernung zu hören war.
    Der Vulkan schleuderte zwanzig Kubikkilometer Asche und Gestein in die Atmosphäre. Die unterirdische Magmakammer entleerte sich rasch und stürzte dann unter dem Gewicht der Deckenformation ein. Wassermassen des umgebenden Meeres strömten schlagartig nach. Die Erde bebte und ein vierzig Meter hoher Tsunami raste durch die Sundastraße. Küstenstädte wurden in Sekunden zerstört, in Australien sanken Leuchttürme. Die Flutwelle war selbst im Ärmelkanal zwischen England und Frankreich zu spüren, wo der Meeresspiegel kurzzeitig um einige Zentimeter stieg. Auf die Flut folgten Ascheregen und pyroklastische Ströme – glühend heiße Wolken aus Gestein, Gas und Staub, die Geschwindigkeiten von bis zu achthundert Stundenkilometern erreichten. Elementare Gewalten zerstörten die umliegenden Inseln. Einhundertfünfundsechzig Städte und Dörfer wurden vernichtet und mehr als sechsunddreißigtausend Menschen getötet. Die Rauchwolke des Vulkanausbruchs war siebenhundert Kilometer weit zu sehen und selbst in zweitausend Kilometer Entfernung fiel noch Asche vom Himmel. Durch die Explosion des Krakatau wurden so gewaltige Mengen Staub in die Atmosphäre geblasen, dass sie monatelang dort blieben und weltweit den Himmel verdunkelten. In der Dämmerung strahlten Sonne und Mond in den wildesten Farbschattierungen. Schriftsteller berichteten in den Jahren danach von beeindruckenden Sonnenuntergängen. Angeblich soll der Vulkanausbruch expressionistische Maler wie Edvard Munch zu Bildern in leuchtenden Farben inspiriert haben.
    Als am nächsten Morgen der 28. August anbrach, waren von Krakatau nur noch Trümmer übrig.
    Wie durch ein Wunder überlebten die meisten Schiffsbesatzungen die Riesenwellen, doch in den verwüsteten Küstenabschnitten kämpften die Überlebenden um ihre Existenz. Es fehlten Trinkwasser, Nahrung und Medikamente. Die Hilfslieferungen liefen nur schleppend an. Das Elend spielte den Unabhängigkeitskämpfern in die Hände, die den niederländischen Kolonialherren bittere Vorwürfe machten und Aufstände anzettelten. Immer mehr Indonesier bekehrten sich zum Islam. Die Unruhen, die nach der Krakatau-Katastrophe begannen, gipfelten siebenundfünfzig Jahre später im indonesischen Unabhängigkeitskrieg.
     
    Die Überreste des Krakatau waren eine leblose Ödnis, doch schon sechs Monate später entdeckten Biologen erstes Leben. In wenigen Jahren wuchsen auf den steilen Hängen bereits Bäume, und auch die Tiere kehrten auf die Insel zurück.
     
    1927 kam es zur einer Wiedergeburt. Nach einer Serie heftiger Ausbrüche tauchte Anak Krakatau – »das Kind des Krakatau« – aus dem Meer auf. Die Insel entstand genau dort, wo sich zuvor der Zentralkegel erhoben hatte. Kurz nach der Geburt des kleinen Eilandes fiel die junge Insel aber schon wieder der Meeresbrandung zum Opfer. Viermal wiederholte sich der Zyklus aus Geburt und Niedergang, bis 1930 endlich eine stabile Insel heranwuchs. Seither gehört Anak Krakatau zu den aktivsten Vulkanen der Welt.



 
1
     
     
    Java, Februar 1895
     
    Die Luft war zum Schneiden. Noch etwas dicker und man hätte sie aufs Brot schmieren können. Wasser tropfte von den Blättern der langstieligen Epiphyten und platschte auf den regendurchweichten Boden. Meterlange Lianen tasteten wie Finger durch die Schwaden. Der Boden war knöcheltief mit abgestorbenen Blättern und Rindenstücken bedeckt. An schmalen Stellen wurde der Weg von Tümpeln und Rinnsalen versperrt, denen man besser auswich. Nicht, weil man sich dort nasse Füße holte, sondern weil die fingerdicken Blutegel, die hier hausten, nur darauf warteten, dass ein unvorsichtiger Wanderer seinen Fuß in ihr Revier setzte.
    Professor Konrad
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