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Verflixtes Blau!

Verflixtes Blau!

Titel: Verflixtes Blau!
Autoren: Christopher Moore
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1
    Weizenfeld mit Krähen
    Auvers, Frankreich, Juli 1890
    A m Tag, an dem er ermordet werden würde, begegnete Vincent van Gogh auf dem Pflaster draußen vor der Schenke, in der er zu Mittag gegessen hatte, einer Zigeunerin.
    » Großer Hut«, sagte die Zigeunerin.
    Vincent blieb stehen und nahm die Staffelei von seiner Schulter. Er schob seinen gelben Strohhut in den Nacken. Der Hut war wirklich groß.
    » Ja, Madame«, sagte er. » Er schützt meine Augen vor der Sonne, wenn ich arbeite.«
    Die Zigeunerin war alt und gebrechlich, wenn auch keineswegs so alt und gebrechlich, wie sie tat, weil niemand einer jungen, schönen und gesunden Bettlerin auch nur einen Centime gab. Mit ihrem umbrabraunen Auge blickte sie zum Himmel des Val-d’Oise auf, wo sich Sturmwolken über den Schindeldächern von Pontoise zusammenbrauten, dann rotzte sie dem Maler vor die Füße.
    » Heute scheint die Sonne nicht, Holländer. Es wird Regen geben.«
    » Nun, dann schützt er meine Augen eben vor dem Regen.« Vincent betrachtete das Tuch der Zigeunerin, gelb mit einer Bordüre aus grünen Ranken. Ihr Schal und ihre Röcke, jeder von einer anderen Farbe, fielen über ihre Füße wie die staubigen Fetzen eines verblassten Regenbogens. Vielleicht sollte er sie malen. Wie Millets Bauern, nur mit hellerer Palette. Eine Figur, die aus dem Feld heraussticht.
    » Monsieur Vincent.« Die Stimme eines jungen Mädchens. » Sie sollten sich an Ihr Bild machen, bevor der Sturm kommt.« Adeline Ravoux, die Tochter des Wirts, stand im Eingang zur Schenke, mit ihrem Besen in der Hand, nicht zum Fegen, sondern um lästige Zigeuner zu vertreiben. Sie war dreizehn Jahre alt und blond, und wenn sie auch eines Tages eine wahre Schönheit sein würde, war sie jetzt herzzerreißend unscheinbar. Dreimal schon hatte Vincent sie porträtiert, seit er im Mai hierhergekommen war, und die ganze Zeit über hatte sie mit ihm kokettiert, plump und unbeholfen wie ein Kätzchen, das auf ein Wollknäuel einschlägt, bis es merkt, dass seine Krallen verletzen können. Natürlich nur zum Spaß, es sei denn, arme, gepeinigte Maler mit nur einem Ohrläppchen wären unter jungen Mädchen neuerdings der letzte Schrei.
    Vincent lächelte, nickte Adeline zu, nahm Staffelei und Leinwand und spazierte um die Ecke, fort vom Fluss. Die Zigeunerin folgte ihm und lief an seiner Seite, als er den Hügel hinaufstapfte, vorbei an der Gartenmauer, hin zum Wald und den Feldern oberhalb des Dorfes.
    » Es tut mir leid, Mütterchen, aber ich kann keinen Sou entbehren«, sagte er zu der Zigeunerin.
    » Dann nehme ich den Hut«, sagte die Zigeunerin. » Und du kannst wieder zurück auf dein Zimmer gehen, dir den Sturm ersparen und ein Bild von einer Blumenvase malen.«
    » Und was bekomme ich für meinen Hut? Willst du mir die Zukunft vorhersagen?«
    » So eine Zigeunerin bin ich nicht«, sagte die Zigeunerin.
    » Willst du mir Modell sitzen, wenn ich dir meinen Hut schenke?«
    » So eine Zigeunerin bin ich auch nicht.«
    Vincent blieb am Fuß der Stufen stehen, die den Hang hinaufführten.
    » Was für eine Zigeunerin bist du dann?«, fragte er.
    » Eine, die einen großen, gelben Hut braucht«, sagte die Zigeunerin. Sie lachte meckernd und zeigte ihre drei Zähne.
    Vincent lächelte bei dem Gedanken daran, dass jemand etwas haben wollte, was ihm gehörte. Er nahm den Hut ab und reichte ihn der alten Frau. Morgen, auf dem Markt, würde er sich einen neuen kaufen. Theo hatte seinem letzten Brief einen Fünfzig-Franc-Schein beigelegt, und davon war noch etwas übrig. Er wollte, nein, er musste diese Sturmwolken malen, bevor sie sich ihrer Last entledigten.
    Die Zigeunerin untersuchte den Hut, zupfte eine Strähne von Vincents rotem Haar aus dem Stroh und stopfte es zwischen ihre Röcke. Sie setzte den Hut auf ihr Tuch und nahm eine Pose ein, wobei sich ihr Buckel plötzlich streckte.
    » Hübsch, nicht?«, sagte sie.
    » Vielleicht noch ein paar Blumen ins Band«, erwiderte Vincent, der nur an Farben dachte. » Oder eine blaue Schleife.«
    Die Zigeunerin grinste. Oh, da war ein vierter Zahn, den er bisher übersehen hatte.
    » Au revoir, Madame.« Er nahm seine Leinwand und stieg die Stufen hinauf. » Ich muss malen, solange ich kann. Das ist alles, was mir geblieben ist.«
    » Ich gebe den Hut nicht wieder her.«
    » Geh mit Gott, Mütterchen.«
    » Was ist mit deinem Ohr passiert, Holländer? Hat es dir eine Frau abgebissen?«
    » So ähnlich«, sagte Vincent. Die erste der drei Treppen hatte
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