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Köpfe

Köpfe

Titel: Köpfe
Autoren: Greg Bear
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FÜNFZIG METER UNTER DEM aschigen Verwitterungsboden des Oceanus Procellarum, in der geografischen Mitte der ausgedehnten und zum größten Teil leeren Sandoval-Gebiete, war die Eisgrube aus einem vulkanischen Rülpser in der Ur-Vergangenheit des Mondes entstanden, eine natürliche Blase von beinahe neunzig Metern Durchmesser, die einst mit der wäßrigen Sickerflüssigkeit eines Eisfalles in der Nähe gefüllt war.
    Die Eisgrube war ein ergiebiger Wasserstollen gewesen, eins der größten Trinkwasserreservoirs auf dem Mond, doch es war längst erschöpft.
    Da es meiner Familie, dem Multiplen Bund der Sandovals, widerstrebte, Mitglieder des Clans arbeitslos zu sehen, hatte sie die Grube als verlustbringende Farm weitergeführt. Sie unterhielt drei Dutzend Bewohner in einem Raum, der früher dreihundert beherbergt hatte. Sie war schrecklich vernachlässigt, schlecht geführt, und – was das schlimmste war für eine lunare Einrichtung – ihre Gänge und Gehege waren schmutzig. Der freie Raum an sich war leer und unbenutzt, da seine wassererhaltende Stickstoff-Atmosphäre längst versickert und der Grund nach mehreren Beben von Geröll bedeckt war.
    Mein Schwager, William Pierce, hatte vorgeschlagen, ausgerechnet an diesem unwirtlichen Ort den absoluten Nullpunkt anzustreben, das universale Nonplusultra an Ordnung, Frieden und Stille. William untermauerte seine Bitte um die Nutzung der Eisgrube mit der Behauptung, er würde auf diese Weise ein Schweineohr in eine wissenschaftliche Seidentasche verwandeln. Als Gegenleistung konnte sich der MB Sandoval eines großen wissenschaftlichen Projekts rühmen, das seinen Status innerhalb des Tripel anhob und sich damit auch auf seine finanzielle Situation günstig auswirkte. Die Eisgrubenstation würde einem echten Zweck dienen und bot nicht nur Lebensraum für einige Dutzend müßige Eisgrubenleute, die sich als Farmer ausgaben. Und William hatte etwas ganz für sich allein, etwas wahrhaft Herausforderndes.
    Rho, meine Schwester, unterstützte ihren Mann, indem sie all ihre beträchtliche Energie und allen Charme aufbot – und ihr gutes Verhältnis zu meinem Großvater, in dessen Augen sie niemals etwas falsch machen konnte.
    Trotz Großvaters Befürwortung wurde das Vorhaben einer strengen Untersuchung durch das Sandoval-Syndikat unterzogen – bestehend aus den Geldgebern und Unternehmern sowie den Wissenschaftlern und Ingenieuren, von denen viele schon mit William zusammengearbeitet hatten und seine Begabung kannten. Rho steuerte seinen Vorschlag geschickt durch das Labyrinth von Begutachtung und Kritik.
    Mit einer Fünf-zu-vier-Entscheidung des Syndikats und unter heftigem Protest von Seiten der Geldgeber und dem widerstrebenden Einverständnis der Wissenschaftler wurde Williams Projekt bewilligt.
    Thomas Sandoval-Rice, der Direktor und Chef des MB-Syndikats, gab seine Zustimmung äußerst zögernd, doch er gab sie. Offenbar sah er einen gewissen Nutzen in einem risikoreichen, aufsehenerregenden Forschungsprojekt; die Zeiten waren schwer, und der Prestigewert spielte selbst für eine Familie der Oberen Fünf eine entscheidende Rolle.
    Thomas beschloß, das Projekt als Übungsplatz für vielversprechende junge Familienmitglieder zu benutzen. Rho verwandte sich zu meinen Gunsten, ohne daß ich davon etwas wußte, und ich wurde mit einem Posten betraut, der weit über das hinausging, was ich aufgrund meines Alters und meiner Erfahrung verdiente, nämlich mit dem des Obersten Finanzmanagers und Beschaffungsmeisters der Station.
    Die Loyalität gegenüber der Familie – und die flehentlichen Bitten meiner Schwester – zwangen mich, meine Ausbildung am Mare Tranquilitatis abzubrechen und zur Eisgruben-Station umzuziehen. Anfangs war ich darüber alles andere als begeistert. Ich fühlte mich mehr zu den freien Künsten berufen als zum Finanzwesen oder zum Management; ich hatte, in den Augen der Familie, meine Studienzeit für die Fächer Geschichte, Philosophie und terrestrische Klassik verschwendet. Dennoch besaß ich eine nicht unbeträchtliche Begabung für technische Wissenschaften – allerdings weniger für die Theorie – und hatte als Nebenfach Familienfinanzen belegt. Ich traute mir zu, mit dieser Aufgabe fertigzuwerden, und wenn auch nur, um meinen älteren Familienmitgliedern zu zeigen, was sich mit einer liberalen Denkungsweise alles bewerkstelligen ließ.
    Scheinbar war ich für William und sein Projekt zuständig und lediglich dem Syndikat und dem
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