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Ich habe die Unschuld kotzen sehen

Titel: Ich habe die Unschuld kotzen sehen
Autoren: Dirk Bernemann
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Hauch eines Kusses aus seiner Richtung verschwinden. Ohne Sinne kann ich elegant leben. Hätte ich Sinne und diesen Job, wäre mein Leben schnell zu Ende. Ich erlebe momentan die Wiedergeburt verloren ge glaubter Emotionen.  
    Ich erkenne natürlich sofort die Gefahr.  
     
    Liebe = Verwundbarkeit
    Starke Liebe = Drahtseilakt
    Absolute Liebe = Tod
     
    Mit der Zurückhaltung von absoluter Liebe vermeide ich meinen Tod, bin vielleicht ein wenig verwundbar oder gehe auf einem scheiß Drahtseil spazieren (Wovon ich als Kind immer träumte: Lydia, die weltberühmte artistische Hochkultur in absolutem Perfektionismus! Schade, heute ficke ich stinkende Unbekannte für einen Hungerlohn).
    Und morgen wahrscheinlich auch noch.
    Diesen gan zen Monat noch.  
    Dann steige ich aus, wie aus einem Zug, der am perfekten Bahnhof hält, wo der perfekte Geliebte mit einem perfekten Blumenstrauß auf mich wartet. Soweit und so weit die Träume.
     
    Jetzt in diesem Moment winde ich mich unter einem Soldaten. Ein mechanischer Stecher mit stechendem Blick. Allerhöchstens Anfang zwanzig.
    Er ist stolz auf seinen ersten, blöden, blonden Schnurrbart. Als er seine scheiß Unterhose auszog, erfüllte ein Geruch den Raum, den ich auch nur als stechend beschreiben kann. Es ist Freitag Nachmittag und ich ficke die Leiche des unbekannten Soldaten, mache dabei Stöhngeräusche und nenne den kleinen sabbernden Idioten einen geilen Hengst.
    Er gibt mir 120 Euro und verlässt wortlos den Raum, nach dem er sich wieder in seinen miefigen Tarnanzug nebst vollgepupter Unterhose integriert hat.
    Geh, du Arschloch und nimm deinen Gestank mit!
     
    Zünde mir ‘ne Zigarette an und denke an Benjamin. Denke an unser Kennenlernen in diesem kleinen Club.  
    Ich tanzend auf E. Er Anzug tragend, rauchend auf einem dieser Barhocker.  
    Blicke.
    Dieser Typ wirkte in diesem Club so deplaziert wie ein Buch (Brecht, Goethe, meinetwegen auch Tucholsky) im CD Schubfach einer Kompaktstereoanlage ohne Energie. Ich musste ihn dauernd anstarren und unsere Blicke liefen sich an diesem Abend häufiger über den Weg.  
     
    Guten Tag, ich bin der Blick von Lydia, der Prostituierten.
    Freut mich, ich bin der Blick von einem wunderschönen, intellektuellen, warmherzigen, emotionalen Mann, der Lydia aus ihrer zu kalten und menschlichen Misere retten wird. Komm in meine Welt, schöner Blick ...
    Später zog ich mir in circa drei Meter Luftlinie vom Schönen ‘nen Longdrink rein. Wirkte neben und mit dem E wie Aufputschmittel und es ging ein Jetztodernie- Gefühl durch mich durch.
    Mit zitterndem Zeigefinger der rechten Hand tippte ich ihm auf sein geil duftendes, extrem elegantes Nadelstreifensakko und er drehte sich zu mir um und warf mir einen Blick zu, der mir den Atem, den Verstand und sämtliche Körperfunktionen samt deutscher Sprache raubte. Ich sagte trotzdem was, weiß nicht mehr was, aber es war gut und reichte ihm zum Aufbau eines Gespräches.
     
    Dann sahen wir uns öfter. Irgendwann küssten wir uns und ich hatte das Gefühl, dass etwas in mir aufbrach, von dessen Existenz ich bislang keine Ahnung hatte.
      
    Benjamin ist Handelsreisender. Verkauft irgend einen ElektroEDV-Schrott an große Konzerne, sagt er. Deswegen ist er viel unterwegs, sagt er.
    Aber er kann sich auf dieser Basis eine Beziehung vorstellen, sagt er.
    Gut, sage ich.
     
    Er kann sich einiges leisten durch seinen Reisejob. Schnelles Auto, elegante Kleidung, winzige Telefone und lauter anderen Mist, den kein Mensch braucht.
    Benjamin scheint all das zu brauchen, um sich gut zu fühlen.
    Soll er.
      
    Von meinem Business hat Benjamin keine Ahnung.
    Er denkt, ich sei, wie ich erzählte, Designerin.
    Für Tapeten, Teppiche, Gardinen. Aber ich bin eine ver dammte Prostituierte. Verirrt im Neonlicht der Groß stadt. Aber ich steige aus, wie aus einem scheiß Zug. Runter von dem scheiß Trip, von diesen Gleisen Richtung Untergang.
    Bald ist Endstation und Benjamin wartet am Bahnhof auf mich.
    Bestimmt.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    There is noone left in the world
    that I can hold onto
    there is really noone left at all
    there is only you
    and if you leave me now
    you leave all that we were undone
    there is really noone left
    you are the only one
    and still the hardest part for you
    to put your trust in me
    I love you more than I can say
    Why don´t you just believe
     
    The Cure – Trust
     
     
     
    Vertrau mir
     
     
    Gestern ist mir etwas zum ersten Mal in meinem Leben
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