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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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vernarrt in den Klang ihres Namens und schien meinen Sprachfehler als persönlichen Angriff zu nehmen. Wenn ich den Rest meines Lebens als David Thedarith herumlaufen wolle, sei das meine Sache. Sie jedenfalls lege Wert darauf, als Miss Chrissy Samson angesprochen zu werden. Ohne ein s in ihrem Namen wäre sie vermutlich nie Sprachtherapeutin geworden, sondern hätte sich darauf verlegt, den Leuten gesunde Backenzähne rauszureißen oder ungewollte Klitorisbeschneidungen an afrikanischen Schulmädchen vorzunehmen. Das entsprach ihrer Persönlichkeit.
    »Immer halblang«, sagte meine Mutter. »Ich bin sicher, so schlimm ist sie nun auch wieder nicht. Gib ihr eine Chance. Das Mädel versucht doch bloß, seinen Job zu erledigen. «
    Als ich einmal ein paar Minuten zu früh in ihr Büro schneite, war Agentin Samson noch mit Garth Barclay beschäftigt, einem schmächtigen, verzärtelten Jungen, den ich aus der vierten Klasse kannte. »Du wartest bitte draußen im Flur, bis du an der Reihe bist«, sagte sie. Ein oder zwei Wochen darauf platzte Steve Bixler, der nur in abgehackten Sätzen redete, in meine Sitzung. Er steckte den Kopf zur Tür herein und erklärte, er könne Freitag nicht kommen, weil er mit seinen Eltern übers Wochenende wegfahre. »Ich wollte eth Ihnen nur thagen. «
    Ich begann damit, die Tür zum Sprechzimmer im Auge zu behalten und mir zu merken, wer alles kam und ging. Hätte ich auch nur einen beliebten Schüler aus dem Raum kommen sehen, hätte ich meiner Mutter glauben und mein Lispeln als etwas betrachten können, das jeden treffen konnte. Leider sah ich nie einen beliebten Schüler. Chuck Coggins, Sam Shelton, Louis Delucca: Ganz offensichtlich existierte ein Zusammenhang zwischen einem sibilierten s und einem einschlägigen Desinteresse an der Frage State oder Carolina.
    Nicht ein einziges Mädchen ging zur Therapie. Es waren ausnahmslos Jungen wie ich, die Fotoalben ihrer Kinostars anlegten und ihre eigenen Vorhänge schneiderten. »Das ist doch nichts für dich«, bekamen wir von den Männern in unseren Familien zu hören. »Das ist Mädchenkram. « Waffeln oder Törtchen für den Hausmeister zu backen, mit unseren Müttern Die Springfield Story zu sehen, Rosenblätter zur Herstellung eines Duft-Potpourris zu sammeln jede sinnvolle Beschäftigung erwies sich als Mädchenkram. Um auf unsere Kosten zu kommen, legten wir uns ein zweites Gesicht zu. Auf den Cosmopolitan- Stapel kam oben ein ungelesenes Exemplar von Boy's Life oder Sports Illustrated, während wir unsere Ausschneidearbeiten unter der Sportausrüstung versteckten, um die wir nie baten, aber stets bekamen. Die Frage, was wir einmal werden wollten, bogen wir heimlich so um, dass wir aufzählten, mit wem wir später gern ins Bett wollten: »Polizist oder Feuerwehrmann oder einer von den Burschen, die auf Hochspannungsmasten herum klettern. « Wir täuschten Krankheiten vor und ließen unsere Mütter für den Tag Entschuldigungen schreiben, an dem das schulinterne Softballturnier stattfand. Brian hatte einen Darminfekt, und Ted hatte offenbar die Ein-Tages-Grippe erwischt, die gegenwärtig kursierte.
    »Eines schönen Tages bringe ich draußen an der Tür ein Schild an«, sagte Agentin Samson immer. Ihr schwebte wohl so etwas wie SPRECHZIMMER FÜR SPRACHTHERAPIE vor, obwohl AMERIKAS ZUKÜNFTIGE HOMOSEXUELLE die Sache weit besser getroffen hätte. Da brachen wir uns einen ab, um nur bloß nicht aufzufallen, und zuletzt verriet uns unsere Zunge. Wenn wir uns zu Beginn des Schuljahrs auf die Schulter klopften, weil wir es geschafft hatten, bei den anderen als normal durchzugehen, stand Agentin Samson bereits im Lehrerzimmer und ließ sich von der versammelten Lehrerschaft die Namen durchgeben: »Ich habe morgens immer einen beim Schulappell«, oder: »Bei mir sind zwei in der vierten Mathe-Klasse. « Konnten die auf die gleiche Tour die zukünftigen Alkoholiker und Depressiven herauspicken? Hofften sie, uns mit der Behebung unseres Lispelns auf eine andere Bahn zu bringen, oder wollten sie uns bloß auf eine Karriere als Tänzer oder Schauspieler vorbereiten?
    Agentin Samson wies mich an, zur Bildung des s die Zungenspitze von innen gegen die oberen Schneidezähne zu setzen, genau dort, wo das Zahn fleisch begann. Das entstehende Geräusch war dem von entweichender Luft aus einem Reifen nicht unähnlich. Es klang so seltsam und peinlich, dass es noch weit mehr auffiel als mein Lispeln. Ich jedenfalls sah in dem Reifenpannen-s keine Lösung
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