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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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des Problems und redete wie immer; zumindest zu Hause, wo meine faule Zunge auf nicht weniger faule Ohren stieß. In der Schule, wo jeder Lehrer ein potentieller Spion war, versuchte ich den s-Laut nach Möglichkeit zu umgehen. Aus »sagen« wurde »verlautbaren« oder »artikulieren«, »sehen« wurde »erblicken«, ich packte weniger meine »Sachen« ein denn meine »Habe«. Nach mehrwöchentlichem »Vollsülzen«, wie meine Mutter es nannte, während ich von einer »wiederholt vorgetragenen Bitte« sprach, bekam ich ein Handbuch Sinn- und sachverwandte Wörter, das mich in beinahe jeder Situation mit s- freien Alternativen versorgte. Ich benutzte das Buch zu Hause wie auch in der schulischen Lerngruppe, die meine Mitschüler als ihre Klasse bezeichneten. Agentin Samson zeigte sich von meiner Wortakrobatik wenig begeistert, aber nahezu sämtliche Lehrer waren entzückt. »Was für ein ausgesuchtes Vokabular«, schwärmten sie. »Unglaublich, diese Redegewandtheit!«
    Manche Personalformen waren problematischer als andere, aber ich mogelte mich rum, wo es eben ging. Statt: »Kannst du mir helfen?« sagte ich: »Ich könnte Hilfe gebrauchen«, oder: »Hilft mir wer?« Auch der Genitiv bereitete mir einiges Kopfzerbrechen, und manchmal war es einfach besser zu schweigen, als laut zu verkünden, die Handschuhe von Janet lägen vor der Tür zum Raum von ihrer Lerngruppe. Nach dem vielen Lob, das ich für meinen exklusiven Wortschatz eingeheimst hatte, schien es nur klug, sich nicht zu weit aus dem Fenster zu lehnen. Die anderen sollten schließlich nicht denken, ich wolle mich zum Lieblingskind der Lehrer machen. Zu Beginn meiner Sprachtherapie quälte mich der Gedanke, der Agentin-Samson-Plan könne bei allen anderen funktionieren, außer bei mir, so dass die anderen Jungen ihre Zungen flottbekämen, ihr Leben umkrempelten und nur ich einsam und abgeschlagen zurückbliebe. Zum Glück waren derartige Befürchtungen unbegründet. Trotz größter Anstrengungen unserer Lehrerin war bei niemandem irgendeine merkliche Verbesserung auszumachen. Der einzige Unterschied war, dass wir alle schweigsamer geworden waren. Dank des Kassettenrecorders von Agentin Samson hatte ich eine klare Vorstellung vom Klang meiner Stimme gewonnen. Natürlich war da das Lispeln, aber noch viel beunruhigender war der Klang meiner Stimme, schrill und piepsig wie die eines Mädchens. Wenn ich mich mittags in der Cafeteria meine Bestellung aufgeben hörte, drehte sich mir der Magen um. Wie konnte überhaupt irgendjemand diese Stimme ertragen? Alle um mich herum würden später Anwälte oder Filmstars werden, nur mir bliebe keine andere Wahl, als ein Schweigegelübde abzulegen und Mönch zu werden. Meine alten Klassenkameraden würden im Kloster anrufen, um sich nach mir zu erkundigen, und der Vorsteher würde antworten: »Sie können nicht mit ihm reden! Wissen Sie, Bruder David hat seit fünfunddreißig Jahren mit niemandem mehr gesprochen. «
    »Mach dich nur nicht verrückt«, sagte meine Mutter. »Deine Stimme wird schon noch. «
    »Und was, wenn nicht?«
    Sie verdrehte die Augen. »Sei nicht so makaber. «
    Wie sich herausstellte, war Agentin Samson eine Art rotierende Sprachtherapeutin. Sie kam für jeweils vier Monate an eine Schule, bevor sie an die nächste versetzt wurde. Unsere letzte Sitzung fand einen Tag vor den Weihnachtsferien statt. Sämtliche Klassenräume und Flure waren geschmückt, nur ihr Sprechzimmer war so nackt wie am ersten Tag. Ich hatte mich schon auf die übliche halbe Stunde mit Sassy dem Seehund eingestellt, als ich mit großer Erleichterung registrierte, dass sie mit dem Einpacken des Kassettenrecorders beschäftigt war.
    »Ich dachte, heute Nachmittag lassen wir es mal lockerer angehen und feiern ein bisschen, du und ich. Was hältst du davon?« Sie kramte in ihrer Schreibtischschublade und zog eine Dose Weihnachtsplätzchen hervor. »Hier, nimm eins. Habe ich selbst gebacken, mein Gott, das war vielleicht eine Sauerei! Hast du schon mal Plätzchen gebacken?« Selbstverständlich, wollte ich sagen, ich log aber, nein, hätte ich nicht,
    »Das ist eine ganz schöne Arbeit«, sagte sie. »Besonders, wenn man keinen Mixer hat. «
    Ich kannte diesen Plauderton an Agentin Samson nicht und fühlte mich unwohl, in dem kleinen, überheizten Zimmer zu sitzen und so zu tun, als führten wir eine ganz normale Unterhaltung.
    »Und?« fragte sie. »War machst du in den Ferien?«
    »Och, gewöhnlich bleibe ich hier und öffne ein
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