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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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dabei erwischen, wie sie den Schimmel von ihren Erdbeeren kratzten, aber für unseren Vater konnte nichts so verfault sein, dass es ungenießbar wurde. Die Menschen waren verdorben, nicht die Lebensmittel.
    »Die ist prima«, sagte er, während er einem Fliegenschwarm zusah, der seine Brut in das faulige Fleisch einer Ananas ablegte. »Das hat nichts zu bedeuten. Ich würde sie essen!« Was er auch tat, wenn der Preis stimmte. Und der Preis stimmte immer.
    Weil sie auf Wörter wie Frisch gepflückt oder Am Strauch gereift hereinfiel, galt meine Mutter als verschwenderisch. Einem solchen Dummchen konnte man unmöglich vertrauen, schon gar nicht beim Marktgang, so dass mein Vater, bewaffnet mit einem prallen Bündel Gutscheine, den Einkauf ganz allein erledigte. Wenn wir ihn zum Lebensmittelmarkt begleiteten, ermunterte er meine Schwestern und mich, die Auslagen als ein Essen-satt!-Büffet zu betrachten. Äpfel, Kirschen, Weintrauben und makellose Mandarinen: In seinen Augen lag alles, was nicht eingepackt war, zur freien Mitnahme aus. Die Geschäftsleitung sah das anders, und es war bloß eine Frage der Zeit, bis jemand losgeschickt wurde, sein Treiben zu unterbinden. Wenn der Leiter der Obst-und-Gemüseabteilung erschien, verlangte mein Vater, mit vollem Mund, in den hinteren Lagerraum gebracht zu werden, eine wahre Leichenhalle, wo ausrangierte Lebensmittel zwischen Tod und Beerdigung aufgebahrt lagen.
    Wegen des Gestanks und dem, was unsere Mutter »ein Klitzekleinbisschen Würde« nannte, gingen meine Schwestern und ich nie mit in den Lagerraum. Wir hielten es für das beste, auf Distanz zu gehen und so zu tun, als gehörten wir einfach nicht dazu, bis unser Vater zurückkam, bepackt mit matschigem Obst und Gemüse, das keinerlei Ähnlichkeit mit dem aufwies, über das er sich zuvor mit so viel Genuss hergemacht hatte. Die Botschaft lautete: Gibt es was umsonst, wähl nur das Beste. Musst du hingegen bezahlen, häng die Messlatte etwas tiefer und sei nicht so pingelig.
    »Hört auf zu jammern«, sagte er und schmiss eine Familienpackung anämischer Schweinekoteletts in den Einkaufswagen. »Fleisch muss grau aussehen. In ihren Werbeprospekten pfuschen sie dann an der Farbe rum, aber die hier sind völlig okay. Ihr werdet schon sehen.«
    Ich habe meinen Vater nie etwas kaufen gesehen, das nicht mit REDUZIERTE VERFALLSWARE ausgezeichnet war. Lebensmittel ohne diesen orangeroten Aufkleber waren für ihn praktisch unsichtbar. Das Problem war nur, dass er »Verfallsware« nie mit »baldigem Verzehr« in Verbindung brachte. Kam er vom Einkauf nach Hause, packte er das Fleisch in die Tiefkühltruhe, versteckte seine Lieblingsfrüchte im Badezimmerschrank und steckte alles andere in den Schockgefrierer. Natürlich war es für die Konservierung knackiger Frische längst zu spät, aber er nahm die Beschreibung des Schockgefrierfachs beim Wort und behauptete, man könne damit Tote erwecken und ihnen die saft- und kraftstrotzende Blüte ihres Lebens wiedergeben. Zog er eine Möhre nach ein paar Tagen aus dem heißgeliebten Schockgefrierfach, war sie bleich und weich wie ein schlaffer Penis.
    »Hoppla«, sagte er. »Die muss gegessen werden, bevor sie schlecht wird.«
    Dann bis er hinein, und wir alle zuckten angehörs der unnatürlichen Stille zusammen. Zu schwach zu irgendeinem Widerstand, ergab sich die Möhre stumm der Gewalt seines Kiefers. Ein weichgekochter Hotdog wäre geräuschvoller gewesen. Sich den Saft von den Lippen wischend, verkündete er lauthals, dies sei die köstlichste Möhre seines Lebens. »Ihr wisst gar nicht, was euch entgeht.«
    Ich glaube, wir wussten es nur zu gut.
    Selbst in unseren eigensüchtigsten Momenten konnten wir verstehen, warum jemand, der sechs Kinder großzuziehen hatte, knausrig wirtschaftete. Wir hofften, unser Vater würde sich entspannen und lernen, sich auch mal was zu gönnen, sobald wir aus dem Haus wären, aber es ist allenfalls nur schlimmer geworden. Nichts kann ihn von seiner Meinung abbringen, dass sich das Glück nicht auch über Nacht wenden kann und er auf eine Diät aus abgeschnittenen Fingernägeln und Suppen aus welkem Laub, abgeschmeckt mit Taschenlampenbatterien, umsteigen muss. Mag die Wirtschaft zusammenbrechen oder die Ernte vernichtet werden; mögen fremde Armeen das Land besetzen, von Haus zu Haus gehen und selbst noch unser Gewürzbord mitgehen lassen mein Vater ist für alles gerüstet. Obwohl er mittlerweile pensioniert ist und alleine lebt, ernährt er sich
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