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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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Auf meiner enttäuschenden Suche lernte ich, dass Tomatensaft ohne den Segen von Wodka reine Zeitverschwendung ist. Selbst wenn man ihn in Flaschen kauft, er schmeckt immer noch nach Dose. Weiter lernte ich, dass ich von Soda Magendrücken bekomme, von Traubensaft Kopfschmerzen und dass nichts so eklig schmeckt wie ein Glas Milch, ganz besonders französische Milch, die im Tetrapack verkauft wird und ungekühlt fünf Monate haltbar ist, wonach sie sich automatisch in Käse verwandelt und im Supermarkt das Regal wechselt.
    Nach einem ebenso kurzen wie unerquicklichen Flirt mit Wasser, versetzt mit einem Spritzer Zitrone, landete ich schließlich bei Tee, den ich als Wachmacher nie auf eine Stufe mit Kaffee gestellt hätte. Ich gehöre auch nicht zu denen, die von einem »Zuckerschock« schwafeln oder behaupten, sie könnten den unmittelbaren Effekt einer Vitamintablette spüren. Auch ohne in besonders enger Tuchfühlung mit meinem Körper zu stehen, habe ich festgestellt, dass Tee, in größeren Mengen genossen, durchaus ernst zu nehmen ist. Man muss nur einmal ein Dutzend Tassen gegen elf Uhr abends trinken, um nachhaltig den Unterschied zwischen zu Bett gehen und schlafen gehen zu erfahren. Selbst wenn man so viel Glück hat, das Bewusstsein zu verlieren, muss man doch alle halbe Stunde raus und die Blase entleeren.
    Hier liegt also mein neues Ich. Es ist 5:48 Uhr morgens. In meinem Kopf entwerfe ich ein Mäntelchen für meinen Radiowecker, während ich so vollgepumpt mit Koffein bin, dass meine Kopfhaut juckt Ein Buch zu lesen oder ein Kreuzworträtsel zu lösen käme dem Eingeständnis einer Niederlage gleich, und zudem weiß ich, dass, wenn ich meinem Willen freien Lauf lasse, er vermutlich den kürzesten Weg zur Hausbar sucht. Anstatt meine unregelmäßigen Verben zu lernen oder den Tag sinnvoll zu planen, vertreibe ich mir die Zeit mit einer meiner aktuellen, sich immer weiterentwickelnden Phantasien. Es handelt sich dabei um so etwas wie ausgedehnte Tagträume, denen ich normalerweise unterwegs in der Stadt oder in der Schlange vor der Supermarktkasse nachhänge. Sie sind wie Filme, die ich umschreibe, ausschmücke und immer wieder betrachte, wobei ich die Rollen der Bösewichter laufend neu besetze und kleinere Details auf den neuesten Stand bringe. Mein Repertoire, mit dem ich mehr als genug zu tun habe, umfasst gegenwärtig die folgenden drei Titel:
    Mr. Science
    In der Abgeschiedenheit meines Kellerlabors erfinde ich ein Serum, das Bäume zehnmal schneller wachsen lässt, was bedeutet, dass jemand einen Schössling pflanzen und bereits im kommenden Jahr das erste Obst ernten oder unter seinem Schatten sitzen kann. Es ist eine wahrhaft geniale Erfindung. Niemand will darauf warten, dass ein Baum wächst darum pflanzt auch kaum noch wer Bäume; es scheint schlichtweg zwecklos. Bis sie halbwegs groß geworden sind, ist man entweder längst tot oder ins Altersheim gekommen.
    Meine Bäume wachsen in den ersten zwei bis fünf Jahren mit rasender Geschwindigkeit, um sich danach auf ein normales Wachstum einzupendeln, und sie sind ein Wahnsinnserfolg. Parks entstehen wie aus dem Nichts. Städte und Neubausiedlungen verändern quasi über Nacht ihr Gesicht, und die von Hurrikans gebeutelten Bundesstaaten errichten Statuen zu meinen Ehren. Frustrierte Eltern probieren mein Serum an ihren Kindern aus, doch bei Menschen zeigt es keine Wirkung. »Tut mir leid«, sage ich, »es gibt nun mal kein Mittel, sich um die Zeit der Pubertät herumzudrücken.« Holzfäller und Umweltschützer verehren mich gleichermaßen, nur einige Wissenschaftler aus der dritten Reihe machen Stunk, indem sie das Gerücht verbreiten, die Blätter meiner Bäume hätten bei Labortieren Krebs verursacht. Im Handumdrehen entwickle ich ein Mittel gegen Krebs, nur um ihnen ins Gesicht sagen zu können: »Wie waren noch mal die Vorwürfe gegen mich?«
    Jede Nacht erhält Mr. Science ein neues Aussehen. Manchmal bin ich groß und hellhäutig. Ein anderes Mal dunkel und gedrungen. Unverändert bleibt allein mein dichtes, glattes Haar, dessen Pony mir bis zur Unterlippe reicht, wenn ich nach dem Tauchen den Kopf aus dem Wasser stecke. Ich trage es streng nach hinten gekämmt, aber ab und an löst sich eine Strähne und fällt mir wie ein Peitschenriemen ins Gesicht. Meine Züge signalisieren äußerste Konzentration, das Antlitz eines Mannes, der sich seit Ewigkeiten einer alten Schließfachnummer zu erinnern versucht. Als ich meinen ersten Nobelpreis in
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