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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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Eins
Carolina Vor!
    Jeder, der auch nur ab und zu den Fernseher einschaltet, kennt die Szene: Ein Agent klopft an eine scheinbar ganz gewöhnliche Haus- oder Bürotür. Sobald geöffnet wird, fragt der Agent die Person in der Tür nach ihrem Namen. Dann sagt er: »Ich muss Sie bitten, mit mir zu kommen.«
    Sie sind immer bewundernswert gelassen, diese Agenten. Wenn sie gefragt werden: »Warum, bitte schön, soll ich mit Ihnen mitkommen?« zupfen sie nur kurz an ihrer Manschette oder entfernen seelenruhig ein Haar vom Ärmel ihres Trenchcoats und antworten: »Ich denke, wir wissen beide, warum.«
    Je nachdem, ob der Verdächtige sich für die harte oder die sanfte Tour entscheidet, endet die Szene mit einer Schießerei oder wie unter Gentlemen mit dem Anlegen der Handschellen. In Ausnahmefällen liegt eine Verwechslung vor, aber normalerweise weiß der Verdächtige genau, warum er abgeholt wird. Er scheint sogar darauf gewartet zu haben. Nachdem sein ganzes Leben von diesem Gedanken beherrscht war, hat das Warten nun endlich ein Ende. Manchmal soll es so aussehen, als sei der Betroffene geradezu erleichtert, aber das habe ich denen nie abgekauft. So reizvoll das Leben im Knast sein mag, ein Tag auf der Flucht schlägt einen normalen Tag im Gefängnis immer noch um Längen. Spätestens wenn die Frage ansteht, wer die untere Schlafpritsche bekommt, wird jeder einsehen, dass die Entscheidung für die harte Tour einiges für sich hat.
    In meinem Fall erschien die Agentin während des Erdkundeunterrichts. Sie trat in den Raum und nickte der Lehrerin der fünften Klasse zu, die stirnrunzelnd neben einer Landkarte von Europa stand. Was mich hinterher besonders fuchste, war die Erkenntnis, dass das Ganze ein abgekartetes Spiel war. Meine Festnahme war auf Donnerstagnachmittag, Punkt zwei Uhr dreißig festgesetzt worden. Die Agentin trug ein dungfarbenes Jackett über einem roten Strickkleid mit Rollkragen und natürlich Schuhe ohne Absätze, falls der Verdächtige versuchen sollte zu fliehen.
    »David«, sagte die Lehrerin. »Das hier ist Miss Samson, die dich bittet, mit ihr zu kommen. «
    Sonst wurde niemand aufgerufen, warum also ausgerechnet ich? Im Schnelldurchlauf ging ich die Liste meiner jüngsten Schandtaten durch, wo man mir vielleicht was anflicken konnte. Das angeblich feuerfeste Halloween-Kostüm, das ich abgefackelt hatte, die Entwendung einer Grillzange von einer unbewachten Veranda, die kleine Veränderung an dem Wort reißen auf der Hausordnung an der Tür zur Turnhalle; nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, ich könnte unschuldig sein.
    »Nimm lieber gleich deine Bücher mit«, sagte die Lehrerin. »Und deine Jacke. Ich glaube nicht, dass du vor dem Klingeln zurück bist. «
    Damals kam mir die Agentin alt vor, aber vermutlich war sie frisch vom College. Sie lief neben mir her, um plötzlich eine scheinbar harmlose, wenngleich völlig abwegige Frage zu stellen: »Wen findest du besser, State oder Carolina?«
    Ihre Frage bezog sich auf die sportliche Rivalität der beiden größten Universitäten unseres Bundesstaates. Wer sich darum scherte, trug als Zeichen seiner Anhängerschaft entweder Tar-Heel-Kobaltblau oder Wolf-Pack-Rot, beides Farben, die niemandem standen. Die Frage, für welches Team man schwärmte, gehörte in unserem Teil North Carolinas zum Alltag, und die Antwort sprach nach allgemeinem Dafürhalten Bände, wer man war oder einmal werden wollte. Mich interessierte weder Fußball noch Basketball, aber ich hatte gelernt, das für mich zu behalten. Wenn ein Junge sich nichts aus Grillhähnchen oder Kartoffelchips machte, nahm man ihm das nicht weiter übel und sagte: »Nun denn, die Geschmäcker sind eben verschieden. « Man durfte über den Präsidenten, Coca-Cola und sogar über Gott herziehen, doch wer als Junge keinen Sport mochte, hatte gleich seinen Ruf weg. Kam das Thema zur Sprache, fragte ich gewöhnlich mein Gegenüber nach seiner Lieblingsmannschaft und erwiderte dann: »Echt? Ich auch!«
    Als die Agentin mich nun danach fragte, hielt ich mich an ihr rotes Strickkleid und erklärte, ich wäre State-Fan. »Natürlich State. Immer schon gewesen.«
    Noch Jahre später sollte ich diese Antwort bereuen.
    »Hast du State gesagt?« fragte die Agentin.
    »Ja, State. Das sind die Größten. «
    »Verstehe. « Sie führte mich durch eine unbeschriftete Tür neben dem Büro des Rektors in einen schmalen, fensterlosen Raum mit zwei einander gegenüberstehenden Tischen. Es war die Sorte Raum, in
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