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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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nach wie vor wie ein Aasgeier.
    Wenn mein Bruder, meine Schwestern und ich zu Weihnachten nach Hause kamen, riefen wir vorher gewöhnlich an und fragten, ob wir für das traditionelle Festessen etwas mitbringen sollten.
    »Nein, das Lamm ist schon besorgt«, sagte mein Vater dann. »Weinblätter, Blätterteig, Kartoffeln die ganze Einkaufsliste abgehakt«
    »Ja, schon, aber wann hast du die Sachen gekauft?«
    Ansonsten ein ehrlicher Mensch, wenn es nicht um Lebensmittel ging, log mein Vater stets und erklärte, er sei gerade erst vom preiswerten neuen Frische-Markt zurückgekommen.
    »Hast du an Bohnen gedacht?«
    »Klar doch.«
    »Las hören, wie du eine zerdrückst.«
    Wenn wir am Weihnachtstag nach Hause flogen, fanden wir eine unter einer fünfzehn Zentimeter dicken Eisschicht begrabene Lammkeule, von der das Verfallsdatum verriet, dass sie irgendwann Mitte der Carter-Ära gekauft worden war. Das Alter hatte die Kartoffeln bereits püriert, die Weinblätter trugen einen Pelz, und es war sicher, dass er letztens am Telefon mit den Fingern geschnippt hatte, um das Geräusch einer knackig-frischen Bohne nachzumachen.
    »Warum so lange Gesichter?« fragte er, »Heute ist Weihnachten. Da freut man sich doch.«
    Entnervt von ranziger Margarine und »völlig einwandfreier« Milch, die wie Blauschimmel-Salatdressing aussah, übernahmen wir Geschwister abwechselnd die Zubereitung des Weihnachtsessens. Im letzten Jahr war ich an der Reihe, und die, die bei Kasse waren, willigten ein, zu mir nach Paris zu kommen. Ich holte meinen Vater vom Charles-de-Gaulle-Flughafen ab. Als wir zum Taxi-Stand gingen, fiel eine Tüte Erdnüsse aus dem Seitenfach seiner Reisetasche. Diese Erdnüsse waren nicht auf diesem Flug verteilt worden, sondern irgendwann früher, als Flugzeuge noch Propeller hatten und die Piloten Lederkappen und lange, wehende Schals trugen.
    Ich hob die Tüte vom Boden auf und spürte, wie ihr Inhalt zu Staub zerfiel. »Gibst du sie mir, bitte?« Mein Vater ließ sie für spätere Zeiten in der Brusttasche verschwinden.
    Daheim in meinem Apartment machte er sich ans Auspacken. Zuerst dachte ich, die Katze hätte auf mein Bett gemacht, bis ich erkannte, das das Ding auf meinem Kissen kein Katzenschiss, sondern eine verschrumpelte schwarze Banane war, die er aus seinem Versteck unter dem Waschbecken bis hierher nach Paris mitgenommen hatte.
    »Hier«, sagte mein Vater. »Nimm eine Hälfte.«
    Er hatte auch noch einen Pfirsich dabei, eingewickelt in eine Plastiktüte, damit es keine Flecken auf der Kleidung gab, die er am Tag zuvor eingepackt, allerdings Jahre vor seiner Hochzeit gekauft hatte. Wie bei Lebensmitteln hält mein Vater auch seiner Garderobe die Treue. Auf die Annahme gestützt, dass selbst die Toga früher oder später ihr Comeback erleben wird, gibt er kein Kleidungsstück fort und trägt Sachen auf, die sich längst in ihre Bestandteile auflösen.
    Mit im Koffer war auch eine zerknitterte Wildledermütze, die er kurz nach dem Krieg in Kansas City gekauft hatte. Ebendiese Mütze sollte später am Abend in seiner Geschichte eine Rolle spielen, als wir uns mit meinen Schwestern und ein paar Freunden in jenem netten Pariser Restaurant trafen.
    »Und dann«, sagt er, »entdeckte ich dieses braune Dingsda in meinem Koffer und kaute gute fünf Minuten darauf herum, bis mir aufging, dass ich den Schirm meiner Mütze verspeiste. Könnt ihr euch das vorstellen? Ein kleines Stück musste während des Flugs abgebrochen sein aber verdammt, wie hätte ich das denn wissen sollen?«
    Meiner Freundin Maja gefällt die Geschichte. »Da haben Sie sozusagen Ihre Mütze gegessen.«
    »Schon«, sagt mein Vater. »Aber nicht das ganze Ding. Nach dem ersten Bissen habe ich aufgehört.«
    Außenstehenden wird das als eine ganz selbstverständliche Reaktion erscheinen, nur meine Schwestern und ich wissen es besser. Weil es ihn nicht umgebracht hatte, konnte die Mütze als essbar gelten und würde fortan auf ganz andere Weise gesehen und geschätzt werden. Sie war als Kleidungsstück ausgemustert und würde nach der Rückkehr in ihr Heimatland vom Kleiderschrank in den Badezimmerschrank wandern, um dort mit der übrigen abgelaufenen Verfallsware auf die kommende Hungersnot zu warten.
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