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Ich ein Tag sprechen huebsch

Ich ein Tag sprechen huebsch

Titel: Ich ein Tag sprechen huebsch
Autoren: David Sedaris
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wäre immer noch besser als alle anderen gewesen. So gut war er. «
    Während ich mit dem Kopf nickte, sah ich zwei glänzende Lippen verlassen in der Garderobe irgendeines Nachtklubs auf dem Boden liegen. Der Trick bestand darin, sich langsam in Richtung Flur zurückzuziehen und in die Küche zu entwischen, bevor mein Vater losbrüllen konnte: »O nein. Du kommst sofort zurück. Ich will, dass du dich hier hinsetzt und ein paar Minuten zuhörst, und zwar richtig zuhörst. «
    Da wir mit der Musik groß geworden waren, nahm ich immer an, meine Schwestern und ich würden wirklich was von Jazz verstehen. Wir schätzten ihn mehr als die Musik unserer Freunde, aber weder Worte noch Taten konnten unseren Vater von unserer Hingabe überzeugen. Wie, außer dass man ein Stück auf einem Instrument nachspielte, konnte man beweisen, dass man richtig zugehört hatte? Es war, als erwartete er von uns, dass wir nach jeder Hörprobe die Farbe wechselten.
    Aufgrund seines Gehörs und seiner fast krankhaften Disziplin war ich immer der Überzeugung, aus meinem Vater hätte ein erstklassiger Musiker werden können. Er hätte Saxophonist werden können, wäre er nicht in eine Einwandererfamilie hineingeboren worden, die schon Topflappen für übertriebenen Luxus hielt. Bei ihm zu Hause wurde nur griechische Musik gehört, ein Oxymoron, was den Rest der Welt angeht. Das Gejaule eines Straßenkaters, dessen Schwanz in der Tür eines Milchwagens eingeklemmt ist, würde spielend die Charts daheim in Sparta oder Thessaloniki stürmen. Jazz war für meinen Vater die einzige Form von Rebellion. In seinem Haus war die Musik verboten, so dass er sie als seine ganz persönliche Entdeckung betrachtete. Als junger Mann versteckte er seine 78er-Platten unterm Sofa und machte sich regelmäßig heimlich auf nach New York City, wo er sich in den Klubs herumtrieb und mit Schwarzen verkehrte. Alles in allem konnte er sich nicht beklagen. Bis er Anfang Vierzig mit der ganzen Familie nach North Carolina versetzt wurde.
    »Wo, bitte, soll ich hin?« fragte er.
    Die Winter in Raleigh sagten ihm zu, nur hätte er das milde Klima liebend gern für einen anständigen Radiosender getauscht. Ganz auf seine Schallplatten und Tonbänder beschränkt, reifte in ihm der Traum, seine Familie werde eines Tages die Leere füllen und eine Jazz-Combo gründen.
    Sein Plan nahm an dem Abend Gestalt an, als er mich zusammen mit meinen Schwestern Lisa und Gretchen zu einem Konzert von Dawe Brubeck mitnahm, der auf Tour mit seinen Söhnen bei uns in der Uni spielte. Das Publikum tobte, als das Quartett die Bühne betrat, während ich mich mit geschlossenen Augen zurücklehnte und so tat, als gelte der Applaus mir. Um ein solches Maß an Aufmerksamkeit zu bekommen, musste man sich was einfallen lassen, was die Leute aus den Socken haute. Ich hatte im Stillen an einer Sache gearbeitet, von der ich mir vorzustellen begann, sie einem menschlichen Publikum zu präsentieren. Mein Auftritt bestand darin, dass ich, bekleidet mit einem schicken Hemd und Krawatte, ein Medley aus Werbe-Jingles im Tonfall von Billie Holiday singen würde, die eine der Lieblingssängerinnen meines Vaters war. Mein Konzert in Raleigh würde ich voraussichtlich mit der Werbemelodie für das älteste Einkaufszentrum der Stadt eröffnen. Ein kurzes Kopfnicken in die Richtung meines Begleitmusikers, und ab ging's mit »Die Atmosphäre von Cameron Village wird auch Sie verzaubern«. Das Ergreifende meiner Darbietung war, dass sie sowohl die Freude als auch das Leid eines Besuchs bei Ellisburg's oder J. C. Penney einfing. Danach kämen Knaller wie »Schon entdeckt, wie die Winston schmeckt« und der neue Coke-Ohrwurm »Mein Lied geht um die ganze Welt«.
    Eingesponnen in meinen Traum, hatte ich Dave Brubeck ganz vergessen, als mir mein Vater den Ellbogen in die Seite rammte und fragte: »Hörst du das? Die Jungs heizen ein, dass der Putz von den Wänden bröckelt!« Die übrigen Zuhörer saßen andächtig wie in der Kirche, nur mein Vater schnippte mit den Fingern und nickte mit dem Kopf vor der Brust. Leute zeigten mit dem Finger auf uns, doch als wir ihn baten, sich gerade hinzusetzen und mit dem Geschnippe aufzuhören, legte er beide Hände an den Mund und brüllte nach Blue Rondo á la Turk!
    Auf der Fahrt nach Hause trommelte er mit den Handflächen auf das Lenkrad und schwärmte: »Habt ihr das gehört? Der Bursche wird mit jedem Tag besser. Da steht er mit seinen Jungs auf der Bühne und fetzt los, was
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