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Verfuehr mich

Verfuehr mich

Titel: Verfuehr mich
Autoren: Noelle Mack
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    Bliss Johnson warf einen Blick auf ihren Kalender, der für jeden Tag Dinge auflistete, über die man sich freuen kann. Der heutige Tag nannte Strandrosen, Segelboote und samtig schwarze Himmelszelte voller Sterne. Reizend – aber nicht unbedingt typisch für den Sommer in New York. Fast alle Menschen fanden früher oder später eine Möglichkeit, den aufgeheizten Bürgersteigen und der stickigen Luft zu entkommen, und das Bürogebäude, in dem Bliss arbeitete, schien auf seltsame Weise entvölkert. Abgesehen von ein paar Neulingen – Frischlinge vom College, die von ihren bösen Eltern gezwungen wurden, einer lukrativen Beschäftigung nachzugehen.
    Zum Beispiel ihre Assistentin. Oder, besser gesagt, ihre ehemalige Assistentin. Bliss riss die Seite aus dem Block, zerknüllte sie und versuchte, den Papierknäuel in den Papierkorb zu werfen. Daneben.
    Okay, sie würde ihn später aufheben, wenn sie wieder bei Kräften war. Wenn sie den Kalender durchgeblättert hatte, um zu sehen, ob er irgendwelche Gründe auflistete, die sie auf die Fahrt nach Pittsburgh freuen ließen.
    Kayla, die Praktikantin mit dem Babygesicht und drei Scheine entfernt von einem Abschluss in Medienwissenschaften, war eine Woche Bliss’ Assistentin bei Lentone Fitch & Garibaldi gewesen. Violet Lentone hatte sie eingestellt. Zunächst war Kayla noch sehr enthusiastisch und ganz begierig darauf gewesen, alles über die Werbebranche zu lernen. Sie war so jung, so erfrischend, so neu … und sie schien das Büro für einen Anbau ihres Studentenwohnheims zu halten. Kayla hatte auf ihrem Laptop die Seite ihres College-Forums aufgerufen und verzweifelte Nachrichten gepostet. Rettet mich!! Dieser Job ist total ätzend!!!
    Unglücklicherweise hatte Vi der Praktikantin just in dem Moment über die Schulter geschaut, als sie diese beiden Sätze eingab. Bliss sah, wie Vi den Laptop mit einem rot lackierten Fingernagel zuklappte und Kayla danach wortlos anschaute.
    »Aber der Job ist wirklich total ätzend«, sagte die Praktikantin irgendwann schließlich.
    »Und wieso, Schätzchen?«, fragte Vi mit ruhiger Stimme.
    »Ich dachte eben, dass es hier mehr für mich zu tun gäbe.«
    Schicksalhafte Worte. Kayla, die nicht gerade leistungsorientierte Tochter von Violets bester Freundin, wurde dazu verdonnert, Vertragsunterlagen abzulegen und verschwand in einem Raum voller Metallaktenschränke, sodass nur noch ab und zu das Geräusch sich öffnender und schließender Schubladen zu vernehmen war.
    Aus diesem Grund musste Bliss sich auch allein um die Vorbereitungen für die Präsentation des Hot Treats -Auftrages kümmern. Sie hatte für den nächsten Tag einen Flug gebucht, um Recherchen über eine Firma zu betreiben, die ihren Sitz irgendwo in der Einöde von Pennsylvania hatte. Bliss sah sich ihre Termine an: Fabrik besuchen; den Chefs schmeicheln. Sich eine brillante Idee für den Verkauf der neuen Fruchttörtchen-Linie an launische, kalorienbewusste Käufer ausdenken! Der Flug dauerte zwar nicht lange, aber sie würde mit einem klapprigen Taxi den ganzen Weg von Pittsburgh bis ins winzige Leonardville, dem Standort der Fabrik, fahren müssen. Eine Stunde im Flugzeug, eine weitere im Taxi … es gab einfach keine Heilung für ihre Sommerdepression.
     
    Bliss saß eingezwängt auf einem Sitz im Bus und ging die Pressemappe von HT durch. Sie schrieb einige Bemerkungen an den Rand und fragte sich, wer das wohl verfasst hatte.
    Die freundlichen Mitarbeiter bei HT werden auch Nahrungsmittel-Wissenschaftler genannt – und Millionen von viel beschäftigten Müttern haben stets ein Loblied auf den Lippen, wenn sie an die Erfindung des Toasterkuchens und andere köstlich stranggepresste Snacks denken.
    Bliss zuckte zusammen und strich das stranggepresst kurzerhand durch. Sie wusste zwar nicht genau, was es bedeutete, aber es klang schrecklich.
    Da fiel ihr Blick auf das Foto von einer Gruppe recht beknackt aussehender Leute in weißen Laborkitteln. Sie schwangen lange Holzlöffel und trugen karierte Kochmützen. Süß. Zu süß, um wahr zu sein. Die Werbekampagne von HT bedurfte einer Generalüberholung.
    Bliss betrachtete die Abbildungen der Vorstandsmitglieder und leitenden Angestellten. Die Diskrepanz zwischen ihrem freundlichen Lächeln und den kalten, starren Blicken ließ sie unwillkürlich schmunzeln. Sie sahen eher wie Auftragskiller denn wie freundliche Kuchenbäcker aus. Diese Firma brauchte die Dienste von Lentone Fitch & Garibaldi – und zwar
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