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Ich bin dein, du bist mein

Ich bin dein, du bist mein

Titel: Ich bin dein, du bist mein
Autoren: Ravensburger
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blutet.
    Ein Auto fährt durch das offene schmiedeeiserne Tor auf den Hof. Es ist der Wagen des Vaters, mit großen Scheinwerfern und einem gefräßigen Kühler, auf dem ein Stern befestigt ist, der aussieht wie das Visier am Lauf eines Gewehrs. Er hält beim Stall, der Vater steigt zusammen mit dem Hund aus. Er öffnet den Kofferraum.
    Die Mutter wendet sich ab. Als der Junge nicht loslässt, schiebt sie ihn beiseite und geht ins Haus.
    Der Vater winkt ihn zu sich heran, doch er zögert. Er hat Angst vor dem Hund und der Hund spürt das. Er spürt es immer. Er ist groß und schwarz und hat keinen Schwanz. Das wundert den Jungen immer wieder, denn die Hunde, die er aus Bilderbüchern kennt, haben immer einen Schwanz. Aber dort sind sie auch echte Freunde: liebevoll, treu. Ein Freund ist Wotan nicht. Nicht für ihn.
    Der Vater winkt ihn jetzt nachdrücklicher zu sich. Er holt etwas aus dem Kofferraum. Etwas Großes, Schweres. Wotan wird nervös.
    Der Vater ist groß, kräftig, hat ein rotes Gesicht und eine raue Stimme. Er hängt das Reh an einen Haken, der am Türsturz des Stalls eingeschlagen ist.
    Er schiebt den Jungen neben das Reh und setzt ihm einen grünen Hut auf, der ihm viel zu groß ist. Dann drückt er ihm ein Gewehr in die Arme. Es ist so schwer, dass er es beinahe fallen lässt.
    Der Junge starrt das Reh an.
    Das Rot tropft auf den Boden.
    Warmes, klebriges Rot.
    Die Augen des toten Tieres sind weit aufgerissen und glänzen. Vielleicht lebt es ja noch? Er will davonlaufen, aber er traut sich nicht.
    Der Vater holt einen Fotoapparat aus dem Auto, spannt den Film und richtet das Objektiv auf den Jungen und das Reh. »Lächeln!«, sagt er grimmig.
    Und der Hund knurrt.

    Es war kurz nach halb zwei, als das Taxi vor dem Haus im Preungesheimer Flutgraben hielt. Judith bezahlte den Fahrer, stieg aus und kramte den Schlüsselbund aus der Hosentasche. Doch bevor sie aufschließen konnte, wurde schon die Tür geöffnet.
    »Wo bist du so lange gewesen? Ich habe mir wahnsinnige Sorgen gemacht, weil du nicht an dein Handy gegangen bist!«, sagte ihre Mutter. Sie war noch angezogen,aber ihre zerknitterten Kleider und die Augenringe ließen erahnen, dass sie auf dem Sofa geschlafen hatte. Wie ihre Tochter hatte sie rotes Haar, das aber bereits von grauen Strähnen durchzogen war. Zerberus sprang bellend an Judith hoch.
    »Scht …«, machte ihre Mutter. »Ab in die Küche.«
    »Ich habe mein Telefon stumm geschaltet«, sagte Judith und legte ihren Schlüsselbund auf das Sideboard neben der Garderobe. Ihr war noch immer schwindelig.
    »Warum das denn?«
    Judith schob sich an ihrer Mutter vorbei in die Küche, um sich aus dem Kühlschrank einen Joghurt zu holen.
    »Ist es wegen Jan?«
    Judith, die gerade die Besteckschublade geöffnet hatte, drehte sich überrascht zu ihrer Mutter um.
    »Süße, du hast die Fotos nicht besonders gut versteckt«, sagte ihre Mutter und nahm sie in den Arm. Einen Moment lang wurde Judith ganz steif. Es war schon lange her, dass ihre Mutter sie so getröstet hatte, aber es tat noch immer gut.
    »Es ist alles in Ordnung«, sagte Judith mit zitternder Stimme. »Mach dir keine Gedanken.«
    Ihre Mutter lachte trocken. »Ich werde mir noch Sorgen um dich machen, wenn ich eine alte Frau bin. Das wirst du nicht aus mir herausbekommen.« Sie nahm das Gesichtihrer Tochter in beide Hände und sah ihr in die tränenfeuchten Augen. »Willst du mit mir darüber reden?«
    Judith schüttelte den Kopf und wischte sich mit dem Handrücken die Nase ab. Sie versuchte tapfer zu lächeln, aber es wollte ihr nicht gelingen. Ihrer Mutter hatte sie noch nie etwas vorspielen können. Aber sie hatte ein Recht darauf zu wissen, was heute Nacht geschehen war.
    »Mein Rad steht noch am Schwimmbad«, sagte Judith. »Ich muss es morgen abholen.« Sie setzte sich an den Tisch und zog den Deckel vom Kirschjoghurt ab.
    »Am Schwimmbad?« Judiths Mutter runzelte die Stirn. »Ihr seid über den Zaun gestiegen?«
    »Fast«, sagte Judith und lächelte schief. »Wir haben ein Loch hineingeschnitten. Und bevor du was sagst: Ja, es war keine gute Idee. Wir sind erwischt worden.«
    Ihre Mutter rollte mit den Augen. »Na klasse. Gab es eine Anzeige?«
    Judith schüttelte den Kopf und löffelte den Becher aus. »Nein. Bogdan hat darauf verzichtet.«
    »Bogdan?«, fragte Judiths Mutter verwirrt. »Wer ist Bogdan?«
    »Der Nachtwächter. Der Typ, der aufpasst, dass nachts niemand ins Schwimmbad einsteigt. Er hat mir das Geld fürs
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