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Ich bin dein, du bist mein

Ich bin dein, du bist mein

Titel: Ich bin dein, du bist mein
Autoren: Ravensburger
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Unterhose bekleidet auf dem Laken geschlafen. Er öffnete die Augen, und sein Blick fiel wie jeden Morgen auf die Bilder an der Wand, die alle nur ein Motivhatten: Judith. Seine Hand tastete nach der Wasserflasche neben dem Bett. Der Verschluss zischte nur leicht, als er ihn aufschraubte. Das Wasser war warm und abgestanden.
    Wieder klingelte es an der Haustür. Wieder fuhr Gabriel zusammen. Er warf einen Blick auf den alten Wecker, der auf dem abgestoßenen Nachttisch stand. Es war noch nicht einmal acht. Gabriel zog die Decke über den Kopf. Aber wer immer um diese Zeit mit ihm sprechen wollte, war verdammt hartnäckig, denn jetzt klingelte es Sturm.
    Gabriel fluchte, schlug mit einem Ruck die Decke beiseite und stand auf. Er machte sich nicht die Mühe, etwas überzuziehen, sondern schlurfte gleich durch den dunklen Flur zur Haustür, die er einen Spaltbreit öffnete.
    Vor der Schwelle stand ein stämmiger Mann von etwa vierzig Jahren in einem hellblauen Polohemd. Über der Schulter trug er eine hellbraune Ledertasche, deren Laschen offen waren.
    »Herr Kischek?«
    »Nein«, antwortete Gabriel. »Der wohnt hier nicht.«
    Der Mann hob die Augenbrauen. Er schob die schmale Brille hoch, die ihm immer wieder von der Nase rutschte. »Darf ich dann fragen, wer Sie sind?«
    »Wer sind Sie?«, fragte Gabriel zurück, obwohl er es schon längst ahnte.
    »Mein Name ist Camberger. Finanzamt.« Camberger hielt einen Ausweis in die Höhe, den Gabriel aber ignorierte. »Darf ich reinkommen?«
    »Nein, dürfen Sie nicht«, erwiderte Gabriel. Sein Blick fiel auf den silbernen Astra, der unter der mächtigen Linde im Schatten stand, die Fenster heruntergelassen.
    Camberger holte ein Klemmbrett aus seiner Tasche und überflog einige Blätter. »In meinen Unterlagen steht, dass Sie meinen Kollegen letzten Monat nicht reingelassen haben.« Er wischte sich einen Schweißtropfen von der Nase, die so spitz war, dass sie seinem schmalen Gesicht etwas Nagetierhaftes verlieh. Wie der Kopf einer Ratte, dachte Gabriel. Einer müden, gereizten Ratte.
    Gabriel zuckte mit den Schultern. »Also?«
    »Das ist natürlich Ihr gutes Recht. Aber wenn Sie mich heute nicht ins Haus lassen, werde ich wiederkommen müssen. Mit einem Mann vom Schlüsseldienst. Und einer richterlichen Befugnis. Ich hoffe, das ist Ihnen klar.« Camberger seufzte und musterte Gabriel genauer, der halb nackt vor ihm stand. »Sehen Sie, ich kann Sie nur darum bitten, kooperativer zu sein. Ich fürchte, Sie haben nicht die geringste Vorstellung davon, was für einen Ärger Sie sich mit Ihrem Verhalten einhandeln.«
    »Ich werde es Herrn Kischek ausrichten, wenn ich ihn sehe«, sagte Gabriel. Der Mann ging ihm auf die Nerven.Das ganze Gehabe, diese spießige Arroganz, der selbstgerechte Tonfall, all das erweckte in ihm den Wunsch, dem Kerl eine reinzuhauen. Immer und immer wieder, bis er sich winselnd für seine Aufdringlichkeit entschuldigte.
    Camberger lächelte schief. »Ja, tun Sie das.«
    Die beiden sahen einander an, als wüssten sie, dass dies hier ein ziemlich dummes, unsinniges Spiel war.
    Camberger wischte sich erneut die Stirn ab und steckte die Papiere zurück in seine Ledertasche, die ihn wie einen verklemmten Deutschlehrer aussehen ließ. Er drehte sich um und ging zu seinem Auto. Gabriel beobachtete mit verschränkten Armen, wie der silberne Astra in einer Staubwolke den Hof verließ. Erst als der Wagen nach einer Kurve hinter einem Waldstück verschwand, schloss er die Tür, leise und mit Bedacht, so als wäre er nicht allein. Nachdenklich strich er sich über das unrasierte Kinn und ging die Briefumschläge durch, die sich im Flur stapelten. Vier Schreiben waren vom Finanzamt und drei weitere von einem Inkassounternehmen, das ihm schon seit Längerem auf der Pelle saß. Sollten die ruhig. Solange er sie mit kleinen Beträgen fütterte, zeigte er seine Zahlungsfähigkeit.
    Nur bei diesem Camberger ging das nicht, denn der war im Auftrag des Herrn unterwegs. Und dieser Herrwar das zuständige Finanzamt. Das ließ sich nicht vertrösten. Das Dumme war allerdings, dass Gabriel tatsächlich kein Geld übrig hatte, um sein Steuerkonto auszugleichen.
    Gabriel nahm die Briefe und ging in die Küche, um sich einen altmodischen Filterkaffee aufzubrühen. Als Erstes schaltete er das alte Röhrenradio ein. Das magische Auge leuchtete auf und zeigte an, dass die Senderfrequenz des Deutschlandfunks optimal eingestellt war. Da gab es den ganzen Tag Reportagen und Interviews.
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