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Ich bin dein, du bist mein

Ich bin dein, du bist mein

Titel: Ich bin dein, du bist mein
Autoren: Ravensburger
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Musik mochte Gabriel nicht. Außerdem fühlte er sich nicht so allein, wenn das Radio ihm etwas zu erzählen hatte.
    Sein Vater war schon seit einem Jahr tot. Unfriede seiner Asche. Die hatte Gabriel anonym beisetzen lassen, irgendwo in einem grasbewachsenen Urnenfeld. Da war er gerade achtzehn gewesen und hatte sich endlich frei gefühlt. Er hatte gehofft, dass er mit seinem Vater auch seinen Schmerz zu Grabe tragen würde. Einen Schmerz, den er erst gespürt hatte, als der Vater nicht mehr da war.
    Ein Jahr war vergangen, in dem er versucht hatte, irgendwie über die Runden zu kommen. Und das war wirklich nicht einfach gewesen. Außer einem Berg Schulden und diesem baufälligen Hof im finstersten Nirgendwo besaß er nichts. Drei Ausbildungen musste er abbrechen, weil Vorgesetzte mit dem Intelligenzquotienten eines Badeschwamms ihm das Leben erklären wollten. Unerträglich. Gabriel hielt sich mit seinem eBay-Handel und kleinen Dienstleistungen für Firmen, die Sicherheitssoftware programmierten, über Wasser.
    Das war sein Traum: irgendwann eine eigene Firma aufzumachen und an der Dummheit der Leute so richtig Geld zu verdienen. Er hatte von einem Typ gelesen, der im Alter von fünfundzwanzig Jahren mit der Entwicklung von Algorithmen für den Aktienhandel so reich geworden war, dass er in Rente gehen konnte. Mit fünfundzwanzig!
    Ja, es gab viel zu tun. Sehr viel. Gabriel wusste, dass ihm die Welt offen stand, er musste nur etwas dafür tun. Hart arbeiten. Und einen festen Willen haben. Mit der richtigen Portion Entschlossenheit würde es ihm gelingen, die Welt aus den Angeln zu heben. Und verdammt noch mal, er hatte einen Anspruch auf ein gutes Leben! Er hatte keine Lust, ein kleines Rädchen im Getriebe zu sein. Wenn man etwas wollte, musste man es sich nehmen, bevor jemand anders es tat. So einfach war das!
    Er nahm das Foto einer jungen, rothaarigen Frau, das er mit einem Magnet befestigt hatte, vom Kühlschrank und betrachtete es zärtlich. Er hatte es vor knapp einem halben Jahr im Frühling gemacht, als Judith unter einem Kirschbaum saß, lesend und ganz in sich versunken, während um sie herum Myriaden von Blüten zu Boden fielen.Die Welt konnte noch so schlecht und hart sein, seine Liebe zu Judith würde alles ändern. Sie allein gab ihm die Kraft, das alles zu ertragen.
    Er setzte sich an den Küchentisch und lehnte das Foto gegen eine Vase mit Strohblumen, so konnte er es betrachten, während er frühstückte. Er hatte noch eine Menge Arbeit vor sich. Doch immerhin war der erste Kontakt hergestellt. Selbstverständlich würde sie nicht darauf reagieren. Das wäre auch zu einfach gewesen. Was jetzt begann, war ein Spiel mit Worten. Natürlich war er dabei im Vorteil. Weil er Judith schon kannte. So gut, als wären sie schon seit Jahren befreundet. Das Profil, das er von ihr erstellt hatte, war beinahe lückenlos.
    Und trotzdem musste er behutsam vorgehen, durfte sie auf keinen Fall bedrängen. Alles musste zwanglos und spielerisch wirken.
    Ich bin charmant, geistreich und witzig.
    Ich bin ein guter Zuhörer, spüre das Unausgesprochene zwischen den Zeilen.
    Ich bin sensibel und verständnisvoll.
    Ich kann über mich selbst lachen.
    Ich weiß mich einem anderen vertraut zu machen.
    Worte sind Zauberei. Mit Worten male ich ein Bild von mir, das mich für sie interessant macht. Nach außen hin ist sie vielleicht kühl und abweisend. Doch damit will sienur ihre Verletzlichkeit verbergen. Im Grunde sehnt sie sich nach Liebe. Nach meiner Liebe.
    Sie weiß es nur noch nicht.

    Am anderen Morgen, nach einer schrecklichen, viel zu heißen Nacht, duschte Judith kurz, erst warm, dann kalt, zog sich an und schminkte sich. Nur ein bisschen – damit sie nicht wie ihr eigener Geist aussah.
    Sie klappte das Badezimmerfenster auf und ging hinunter in die Küche. Das Radio lief. Es roch nach Kaffee und frisch gebackenen Brötchen.
    Robert saß schon am Tisch und tippte auf seinem Telefon herum. Als er sie kommen hörte, blickte er auf. Robert hatte schon einige Male hier im Haus übernachtet, fühlte sich aber offensichtlich noch immer fremd genug, um sie verlegen anzulächeln. Er war groß gewachsen, sportlich und strahlte eine ruhige Selbstsicherheit aus. Wie jemand, der es gewohnt ist, dass andere tun, was er will. Er war Staatsanwalt, und wenn die Erzählungen ihrer Mutter stimmten, ein ziemlich erfolgreicher.
    »Guten Morgen«, sagte er und steckte sein Telefon weg. »Magst du einen Kaffee?« Er deutete auf die
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