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Ich bin dein, du bist mein

Ich bin dein, du bist mein

Titel: Ich bin dein, du bist mein
Autoren: Ravensburger
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Überschriften der Nachrichten überflog, die sie in den letzten Stunden erhalten hatte. Eine war von Jan. Sie zögerte einen Moment, bevor sie die Mail öffnete.
    Kim runzelte die Stirn. »Judith?«
    »Er hat mir gemailt.« Sie las murmelnd die wenigen Zeilen und spürte wieder eine Welle von Wut und Schmerz in sich aufsteigen.
    »Du meinst Jan?«, fragte Kim vorsichtig. »Was schreibt er?«
    »Er will sich mit mir treffen, will mir alles erklären.« Judith zögerte einen Moment, dann zog sie die Mail in den Papierkorb. »Ich will ins Bett«, sagte sie erschöpft. »Schlafen.« Vielleicht sah sie nach dem Aufwachen einige Dinge klarer. Allerdings: Klarer als jetzt konnte die ganze Angelegenheit eigentlich gar nicht mehr werden.
    »Soll ich dich morgen abholen?«, fragte Kim.
    »Das wär nett, danke. Du bist eine gute Freundin.« Vielleicht meine einzige, ergänzte sie in Gedanken.
    Sie beendete die Verbindung und wollte den Rechner schon herunterfahren, als ihr die zweite Nachricht im Posteingang einfiel.
    Sie öffnete sie. Und runzelte die Stirn.
    Von: [email protected]
    An: [email protected]
    Betr.: Gebot 954852023178
    Meine liebe Gwendolyn,
    ich wollte dich noch einmal an die Bücher erinnern, die ich vor zwei Wochen bei dir ersteigert habe.
    Ganz liebe Grüße
    Gabriel
    Ein Irrläufer, dachte Judith. Der Absender hatte an eine Gwendolyn geschrieben, in der Mailadresse aber statt dem y ein i getippt. Gwendolin war ihr Nick für soziale Netzwerke und Chatprogramme. Sie schob die Nachricht zu der von Jan in den Papierkorb, dann schaltete sie den Rechner aus.
    »Komm, Zerberus. Du weißt, dass du nichts in meinem Bett verloren hast«, sagte sie, als sie sich das Schlaf-T-Shirt anzog.
    Der Beagle erhob sich, gähnte herzhaft und schnüffelte an der Bettdecke. Judith hob ihn hoch und setzte ihn auf den Teppich. Dann schlüpfte sie unter die Decke und löschte das Licht. Sie bekam noch mit, wie Zerberus wieder aufs Bett sprang und sich neben ihr einrollte. Aber da war sie schon halb weggedämmert.

    Es ist eine immer wiederkehrende Mutprobe, die er noch nie bestanden hat. Die steile Treppe führt hinauf in die Dunkelheit, wo sich am Ende eines langen Korridors ein verschlossenes Zimmer befindet. Er weiß es. Er hat oft genug gehört, wie seine Mutter den Schlüssel im Schloss umgedreht hat, hat den Schritten auf den morschen Dielen gelauscht. Manchmal ein Schluchzen oder ein stilles Weinen. Irgendwann war seine Mutter wieder heruntergekommen, verweint und noch abweisender als sonst.
    Er will wissen, was sich im obersten Stock hinter der Tür verbirgt und die Neugier ist größer als die Angst. Der Schlüssel zu diesem Zimmer hängt an dem Bund, den seine Mutter immer bei sich trägt. Er nimmt ihn an sich, als sie eines Nachmittags schläft, und steigt die Stufen hoch. Dabei versucht er so leise wie möglich aufzutreten, damit die Dielen nicht knarzen. Er kennt die Sprache dieser Treppe, wie sie protestiert, wenn man den Fuß auf die falsche Stelle setzt. Da kann man noch so leicht sein.
    Es riecht nach Staub und feuchter Tapete und plötzlich sieht er
    rot.
    Warmes Rot.
    Ihm wird schwindelig. Er hat einen metallischen Geschmack im Mund, der ihn an etwas erinnert. An etwas Furchtbares. Seine Hand zittert, als er am Bund den richtigen Schlüssel zu erraten versucht. Er findet den passenden auf Anhieb.
    Das Zimmer, das er betritt, ist grau, so als hätte das Vergessen jede Farbe herausgewaschen. Die Vorhänge sind zugezogen. Trotzdem erkennt er im Zwielicht einen weißen Schrank, eine staubige Wickelkommode, auf der noch eine Windel liegt und ein unaufgeräumtes Kinderbett mit Babyschlafsack.
    Das Zimmer ist ihm vertraut und er würde sich auch wohlfühlen an diesem Ort des falschen Vergessens, gäbe es da nicht
    das Rot.
    Warmes Rot.
    Und diesen schrecklichen Geruch.
    Und das Gefühl, schuld daran zu sein, dass dieses Zimmer schon so lange leer steht.
    Er will wieder gehen, die Tür hinter sich schließen und vergessen, dass er hier war. Dass in diesem Zimmer kein Leben mehr ist.
    Doch dann fällt sein Blick auf die Fensterbank. Er sieht einen Engel, ganz in Blau, lang und schmal und anmutig. Und daneben eine weiße Kerze, an der erstarrte Tränen aus Wachs kleben.

    Gabriel, der im wirklichen Leben natürlich nicht so hieß, zuckte in seinem Bett zusammen, als das schrille Klingeln die morgendliche Stille zersplittern ließ. Er hatte in der viel zu kurzen Nacht die Bettdecke weggestrampelt und nur mit seiner
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