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Ich bin dein, du bist mein

Ich bin dein, du bist mein

Titel: Ich bin dein, du bist mein
Autoren: Ravensburger
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Es gab ein leises, sattes Klicken, als er das schwarze, ein wenig zerschrammte Magazin in die alte Polaroid schob. Gabriel drehte den klobigen Apparat andächtig in den Händen, blickte durch den zerschrammten Sucher und widerstand der Versuchung, ein Bild von sich selbst im angelaufenen Spiegel zu schießen. Die gebrauchte Kamera war schon teuer genug gewesen, aber die zwei Fotokassetten hatten ein Vermögen gekostet, denn sie wurden seit einigen Jahren nicht mehr hergestellt. Gabriel war sich noch nicht einmal sicher, ob der Apparat nach all der Zeit überhaupt brauchbare Fotos lieferte.
    Immer wieder blickte er auf sein Handy. Er hatte nicht mehr viel Zeit. Aber immerhin genug, um seinen Puls zu beruhigen. Natürlich war er aufgeregt. Das war er immer, wenn er sich darauf vorbereitete, sie zu treffen. Ihr nah zu sein.
    Gabriel hatte möglichst unauffällige Kleidung gewählt: eine ausgebeulte, olivfarbene Cargohose, ein schwarzes, unbedrucktes T-Shirt und beigefarbene Converse. Draußen war es heiß und so hell, dass es niemandem auffallen würde, wenn er eine Sonnenbrille zu seiner Kappe trug.
    Er ließ die schwere Holzjalousie seines Schlafzimmers so weit herunter, dass die Sonne helle Streifen an die fleckige, über und über mit Fotos tapezierte Wand seines Schlafzimmers warf. Dann packte er die Kamera in seinen Rucksack.
    Im dunklen Flur lagen unter dem Briefschlitz einige Briefe, die Kuverts aus grauem Umweltpapier. Sie sahen verdächtig nach Behörde aus. Er schob sie mit dem Fuß beiseite und trat mit zusammengekniffenen Augen hinaus in das gleißende Sonnenlicht.
    Für einen Moment spielte er mit dem Gedanken, den alten Mercedes Kombi aus der Scheune zu holen, entschied sich dann aber für die silberne Vespa, die in einem halbverfallenen Schuppen neben dem Haupthaus stand. Die Klimaanlage im Auto funktionierte nicht mehr und er hatte kein Geld für eine Reparatur. Vorsichtig zog er die graue Plane herunter, faltete sie ordentlich zusammen und überprüfte die Füllhöhe des Tanks. Schließlich packte er seine Kappe in den Rucksack, setzte den zerschrammten weißen Helm auf, der an einem langen rostigen Nagel gehangen hatte, und fuhr los.

    Einatmen, ausatmen. Es war so einfach, wie bis vier zu zählen. So einfach, wie einen Fuß vor den anderen zu setzen. Judith wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn, trotzdem lief er ihr immer wieder in die Augen, die jetzt brannten, als würde sie weinen. Einatmen, ausatmen.
    Die Musik gab den Rhythmus vor. Der Bass massierte ihre Ohren, war der Motor, der sie vorantrieb. Der schattige Weg vor ihr war mit Lichtflecken gesprenkelt.
    Einatmen, ausatmen. Wie Ja und Nein, Hell und Dunkel, Sein oder Nichtsein. Wenn sie lief, war alles einfach. Es gab keine komplizierten Entscheidungen. Der Weg war vorgegeben und sie war ganz bei sich. Manchmal wanderten dann ihre Gedanken umher, ziellos wie in einem Traum. Ein Bild nach dem anderen. Heute jedoch dachte sie an gar nichts, konzentrierte sich nur aufs Atmen, spürte ihren Herzschlag und lauschte auf die Musik. Alles andere ging automatisch. Einatmen, ausatmen.
    Es war heiß. So heiß, dass es der reinste Irrsinn war, überhaupt einen Fuß vor die Tür zu setzen, wenn man es nicht musste. Aber Judith hatte es zu Hause nicht mehr ausgehalten. Also hatte sie sich dazu entschlossen, vor ihren Problemen davonzulaufen. Nur für eine Stunde.
    Judith blieb keuchend unter einer Ulme stehen, lehnte sich erschöpft an den Baumstamm und beugte sich nach vorne, die Hände auf die Oberschenkel gestützt. Ein Schweißtropfen fiel von ihrer Nasenspitze auf den staubigen, ausgetrockneten Boden. Sie zog sich die Hörer aus den Ohren und griff nach der Trinkflasche, die sie zusammen mit ihrem MP 3-Player und einer kleinen Tasche an einem Gürtel trug. Judith nahm drei kräftige Schluckeund spritzte sich den Rest des Wassers über den Kopf. Dann strich sie sich die roten Locken aus dem Gesicht und schaute auf ihre Armbanduhr. Es war kurz vor drei. In einer Viertelstunde würde er bei ihr vor der Tür stehen und klingeln. Beim Gedanken daran wäre sie am liebsten weitergelaufen. Doch sie ignorierte das Gefühl der Beklemmung, ging zu ihrem Fahrrad, schloss es auf und fuhr nach Hause.

    Gabriel war sich der Macht des magischen Denkens sicher. Dass sich Träume erfüllten, wenn man nur fest an ihre Erfüllbarkeit glaubte. Dass jeder seine kleine, schäbige Welt aus den Angeln heben konnte, wenn die Sehnsucht nach Veränderung nur
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