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Blutsbrüder

Blutsbrüder

Titel: Blutsbrüder
Autoren: Ravensburger
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1
    NAZIS SIND BRAU N – SCHEISSE AUCH!
    Darius drückt die Kanten des letzten Plakats gegen die Hauswand, bis das feste Papier an der Fassade haftet. Die wenigen Worte sind trotz des geringen Lichts gut zu erkennen. Er zuckt die Schultern und lächelt.
    Ein bisschen fett, denkt er, ein bisschen dick aufgetragen, aber was soll’s, vielleicht hilft’s. Und vielleicht hat Hakan Recht: einen groben Keil für grobe Klötze.
    Noch einmal fährt er mit dem leimverschmierten Quast über die schwarze Schrift auf dem flammend roten Grund. Er verteilt den Kleister, streicht über die dampfenden Hundehaufen (»sind doch hübsch geworden«, Alina) und über die Faust, die das Hakenkreuz zerschlägt, als er im Augenwinkel eine Bewegung wahrnimm t – und bemerkt, dass Hakan die anderen warnen will. Darius registriert, dass Jan-Niklas gehetzt auf seine Uhr schaut, sieht, wie Simon den zweiten Eimer mit Tapetenkleister unschlüssig abstellt und die Arbeitshandschuhe von den Fingern streift. Er hört, wie Alina leise ruft: »Beeil dich!«, sieht, wie sich Tomtom hastig bückt, um seine Schuhe zu binden, und erkennt trotz der nur mäßig hellen Straßenlaternen, dass Cora und Marvin blass geworden sind. Er lässt den Leimquast fallen, hastet vor bis zur Ecke des Hauses und folgt mit den Augen Hakans ausgestrecktem Arm.
    Jenseits der sechs Fahrbahnen versammeln sich zwanzig, vielleicht dreißig Personen auf einem künstlichen Hügel, der die dahinter gelegene Sportanlage vom auch nachts noch dichten Verkehr der breiten Straße abschirmt. Die Gruppe auf der Böschung hat Darius und die anderen bereits entdeckt. Das dürfte, denkt er, knapp werden.
    Gleich werden sie uns jagen. Gleich werden sie uns einkreisen. Längst wissen sie, wer die Plakate in ihrem Viertel geklebt hat: auf denen ihre Treffpunkte und Kneipen und ihre Läden angeprangert werden, in denen sie ihre Klamotten, ihre Stiefel und CDs kaufen, ihre Bücher und Waffen. Nicht gut, denkt Darius, gar nicht gut.
    Als zeige ein Heer seine Stärke, schwärmt die Gruppe auf dem künstlichen Hügel aus. Beschienen vom Flutlicht des Fußballfeldes, wirken die Gestalten auf der Böschung wie kantige Scherenschnitte, Silhouetten vor dem nächtlich dunklen Himmel, meist mit kahl geschorenem Kopf. Skinheads wie aus dem Bilderbuch. Unwillkürlich lächelt Darius erneut.
    Als rege sich ein schlafendes Tier, ziehen die grell angestrahlten Gestalten mit einer wie abgestimmten Bewegung ihre Bomberjacken aus und kehren die Innenseite nach außen. Das eben noch leuchtende Orange weicht einer Farbe, die nicht genau zu erkennen ist, Schwarz oder Dunkelblau, Uniform einer zu allem entschlossenen Armee.
    Noch bevor die Meute losrennt, spürt Darius in seinem Hals ein Würgen, eine Empfindung, die er kennt. Keine Angst, keine Furcht, einen vertrauten Ekel, der sich einstellt, sobald er in eine Situation ähnlich dieser gerät. Etwas in ihm weiß früher als er, was er tun muss. Ein Gefühl, das ihm sagt, wie er sich zu verhalten ha t – ein Gefühl, das ihm widerlich ist, eine Abscheu vor sich selber hervorruft, ein Gefühl, auf das er sich dennoch verlassen kann. Ein Instinkt, den er schon als kleiner Junge gespürt und den er nie verstanden hat, etwas, das ihm bedeutet zu handeln: kalt, hart, entschlossen, überraschend und schnell.
    Die Gruppe auf dem Hügel, die dunkel Uniformierten stürzen die Böschung hinab: auf Darius und Hakan, Jan-Niklas und die andere n – Alina, die nun losläuft, Simon ist bei ih r – zu.
    »Nein«, sagt Jan-Niklas leise, »nicht in die Straßenbahn.«
    Die Ersten, Cora, Tomtom und Marvin, sind schon an der Tür des Triebwagens. Sie stoppen abrupt und bleiben unsicher stehen.
    Noch trennen sie und die Verfolger gut fünfzig, sechzig, siebzig Meter, die gesamte Breite des Platzes, auf dem die Straßenbahnen enden und wenden, noch scheint der Abstand zu garantieren, dass die Tram losgefahren sein wird, ehe der erste Verfolger die Flüchtenden erreicht.
    Seltsam, denkt Darius, niemand ruft. Keine Geräusche, bis auf die eiligen Tritte der Stiefel, das kurze Reißen der Turnschuhsohlen am von der Hitze des Tages noch klebrigen Asphalt. Niemand, kein Fahrgast, keiner der Wartenden, benachrichtigt per Handy die Polizei.
    Wieder blickt Jan-Niklas auf die Uhr. »Die Tram fährt erst los, wenn die S-Bahn schon zwei, drei Minuten da ist.« Unruhig wedelt er mit den Armen. »Hab nachgeschaut, im Internet. Die wartet, auf die Umsteiger.« Er deutet mit dem Kopf hoch zu den
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