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Der Gluecksmacher

Der Gluecksmacher

Titel: Der Gluecksmacher
Autoren: Thomas Sautner
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PROLOG
    Zu Beginn – für Sebastian Dimsch bestand kein Zweifel – war er ein Einzeller gewesen. Und von Anfang an, schon im allerersten Moment, hatte die Bestimmung in ihm gewohnt, sich zu entfalten, was in seinem Fall ja zu nichts anderem führen konnte als einer Halbierung.
    Die Teilung entsprach naturgemäß einer Verdoppelung, und da er unentwegt mit der Metamorphose fortfuhr, differenzierte sich Dimsch alsbald zu einem wilden Durcheinander verschiedenartiger Zellen: Hirnzellen, Nervenzellen, Muskelzellen, Leberzellen, freilich auch profanen Fettzellen, alle jedenfalls gesegnet mit verblüffenden Fähigkeiten. Jenen etwa, Proteine herzustellen, die Membrandurchlässigkeit zu regulieren oder den Stoffwechsel zu dirigieren. Letztlich, überschlug Dimsch, brachte er es auf einhundert Billionen Zellen. Er war zum Menschen geraten, ein Mysterium der Natur, vollendet und in Harmonie mit dem Kosmos. Später wurde Dimsch Angestellter einer Versicherungsanstalt.
    Der Übergang vom Wunder der Natur zum Angestellten einer gewinnorientierten Gesellschaft hinterließ Spuren. Immer dann, wenn Sebastian Dimsch die Augen aufschlug und den glorreichen Horizont seiner Träume gegen jenen der nahen Zimmerdecke tauschte, begann in ihm ein Nachdenken. Alsbald geriet sein Verstand in hektische Betriebsamkeit. Dimsch dachte dies, dachte jenes, ersehnte, spekulierte, uferte aus, kringelte Haare, vergaß darüber das Aufstehen, die Bürozeitenohnehin und überhaupt das Leben, das man als Mensch für gemeinhin nun einmal zu führen hat.
    Letzten Endes mündete sein Ausloten meist in ein und derselben Frage: jener nach dem Glück. Was es sei, woraus es bestehe und wo danach zu suchen wohl am ehesten lohne.

    Fünfunddreißig Jahre, zwei Monate und acht Tage alt musste Dimsch werden, bis ihn eines Morgens eine Stubenfliege erlöste, ihn weckte, leidenschaftlich auf seiner Nase tanzend und beim gründlichen Säubern von Beinchen sowie Anus ein wenig Schmutz abstreifend.
    Wenn das Glück keine Ruhe gab, dachte Dimsch in diesem Augenblick, wenn es ihm auf der Nase herumtanzte und sich ihm aufdrängte, listig meist als Wunsch getarnt, wenn die Sehnsucht nach Glück also unvermeidbar schien, es selbst aber launenhaft und flüchtig, so würde er sich nicht länger narren lassen. Fortan würde er verhindern, dass sich das Glück entzog, kaum in Besitz geglaubt. Fortan, Dimsch beschloss es eisern, würde er das Glück in die Enge treiben, es sich zu eigen machen, bändigen gnadenlos.

    Dimsch schielte. In seinem Blickfeld schwamm die Fliege als ein schwarzes, flügelhaftes Etwas. Er rümpfte die Nase, um das Kitzeln abzuwerfen. Dann konzentrierte er seinen Blick auf das Insekt, schaute also bis zu seiner Nasenspitze und verlieh der neugefassten Absicht resolute Entschlossenheit, indem er schlagartig eine Bewegung nach dem Tierchen machte.
    Er hatte den Atem angehalten, und zu seiner Überraschung fühlte er die Fliege nun, panisch vibrierend, im Hohlraum der geschlossenen Hand.
    Dimsch richtete sich im Bett auf, hockte auf dem zerwühlten Laken und starrte streitbar auf seine Faust, in der die Fliege– zu ihrer beider Verblüffung – weiterhin gefangen blieb. Ab und zu kämpfte sie flügelschlagend gegen die Handinnenseite an, hielt dann wieder inne, heckte wohl etwas aus, tüftelte an einem Ausbruchsplan, einer Finte – wer wusste es schon. Allmählich nur sammelte sich Sebastian Dimsch. Seine
    Haare standen abenteuerlich zu Berge, was sich meist auch tagsüber nicht legte, seine blassblaue Pyjamahose spannte etwas im Schritt, und aufgewirbelte Staubpartikelchen, die dank der schräg ins Zimmer fallenden Morgensonne jäh sichtbar wurden, umkreisten ihn silbrig, als hätte er mit dem Schlag nach der Fliege einen Zyklon in Zimmer-Format ausgelöst. Still, ganz still war es nun. Wie unbewegt die Szene. Im Orbit rund um Dimsch sank kreiselnd der Sternenstaub.
    Dimsch wog den Sieg ab, den er errungen hatte, bewegte die Faust – samt Fliege darin – langsam auf und ab.
    Zufrieden atmete er durch, wusste nun, was zu tun war. Vor Glück und zugunsten eines edelherzigen Gefühls entließ er das Tierchen – welch schöner Moment! – in die Freiheit.
    Es eröffnete dem vorwitzigen Insekt die Möglichkeit, kaum später erneut Dimschs Nase anzusteuern.

ERSTER TEIL

1
    In jungen Jahren hatte Dimsch es gut gehabt, er besaß eine Lebensanschauung. Wie es sich für eine Lebensanschauung gehörte, war sie simpel und bei ein wenig gutem Willen umsetzbar:
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