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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig
Autoren: Nelly Arcan
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die übrigens überall war, auch dort, wo sonst niemand hingeht, Nadine, die jeder kennt, La Nadine, deren Auftritt jede Party adelt, Nadine, die Liebe so leicht inspirieren, aber nicht selbst empfinden kann, Nadine, die dich betrogen hat und sitzen ließ, und du bist vielleicht schon wieder zu ihr zurückgekehrt.

    Jeder Mensch kann verstehen, daß ein Nichts wie ich sich vor dem eigenen Schatten fürchtet, und so wird auch jeder begreifen, daß ich bei jedem dunkelhaarigen Mann in Montreal Angst habe, deine Riesenschritte wieder zu erkennen, die sich von selbst ihren Weg durch die Menge der Fußgänger bahnen, weil man keine andere Wahl hat als auszuweichen, den Bürgersteig freizugeben und das Gesicht vor dem Wirbelwind zu schützen, den sie erzeugen. Jeder wird einsehen, daß diese Frau, um sich nicht allzu klein zu fühlen, dir ausweichen und sich daher auf die vier Straßen des Quartier Latin beschränken muß, vielleicht auch auf weniger.

    Unsere Geschichte hatte ihre Orte, und das waren nicht nur Bars. In der Nähe des Bily Kun zum Beispiel liegt der Mont-Royal, da waren wir nie zusammen, aber wir haben uns oft darüber unterhalten. Die sonnigen Sonnta-ge auf dem Mont-Royal, wenn sich Tamtam-Spieler und Tänzer dort versammeln, waren uns beiden ein Greuel, dir war der Patschuligeruch zuwider und die nackten Männeroberkörper in der Nähe der befahrenen Avenue du Parc, mich machten die vielen Hunde, die durch die vielen anderen Hunde ganz aufgeregt waren, ebenso wahnsinnig wie ihre Herrchen, die dreinsahen, als seien sie aller materiellen Sorgen enthoben. Eines Abends wurde uns plötzlich klar, daß der Engel auf dem Mont-Royal, der sich seit jeher mit den Zehenspitzen von seinem Sockel abstoßen will, um zu einem verlorenen Winkel des Himmels zu fliegen, den Musikanten auf den Kopf fallen würde, und wir haben uns lange über den Ur-Sprung dieser Gewißheit unterhalten, wir wußten sogar, daß der Engel von einem Blitz getroffen herabstürzen und dabei scheppern würde wie ein alter Frachter beim Anlegen. Oft beschworen wir mit Haßgebeten Unheil auf Menschen herab.
    Nadine ging manchmal in der Sommersonne auf dem Mont-Royal spazieren, das weiß ich, weil Josée sie zwei-, dreimal dort gesehen hat. Unter den im Schachbrettmu-ster gepflanzten Bäumen hat sie dir womöglich ihre Meisterschaft im Wichsen bewiesen, mit Händen, die größer sind als meine und deinen Schwanz bis zum Ende umfassen können. Bei dir muß jedes Ereignis bis zum Ende gehen, auch das Mädchen, das du im SAT, der meistsubventionierten Techno-Bar Montreals, geküßt hast, hat dich am Ende hinter einem Lautsprecher bis zum Ende gelutscht, dein Schwanz steckte bis zum Ende in ihrem Hals, wo er sich in dem Versuch, der eigenen Größe zu begegnen, am Ende auch entleerte.

    Du mochtest deinen Schwanz sehr und hast ihn oft fotografiert. Für mich war das eine Eroberergeste, ein Sieg wie das Hissen der amerikanischen Flagge auf dem Mond; als du jung warst, warst du sicher Klassenerster.
    Ich habe dir Sachen über deinen Schwanz gesagt, die dich zum Lachen brachten, ich nannte ihn flüsternd die tragende Säule unserer Liebe oder den in der Bettgruft vergrabenen Schatz; nur wenige Frauen wüßten ihn wahrhaft zu schätzen, hast du behauptet und dir Gedanken gemacht, wie du ihn einordnen solltest auf der inter-nationalen Skala der Schwänze, die von den Schwarzen über Araber und Weiße bis zu den Asiaten immer kleiner würden. Pornostars seien kein Vergleichsmaßstab, weil sie eben wegen der übertriebenen Länge ihrer Schwänze ausgesucht seien, und deine Freunde, hast du dich beschwert, erzählten Lügenmärchen über ihre, so daß du nie ganz sicher sein könntest, ob er nun groß sei oder nicht, aber meine Möse fandest du eng, und das sprach für deinen Schwanz.
    Out of the blue habe es dich gelutscht, das Mädchen im SAT, hast du mir erzählt, du kanntest sie gar nicht, aber sie wollte dich unbedingt kennenlernen, wie viele, auch zu dem Preis, daß sie dich nur ein einziges Mal hinter dem Lautsprecher erkannte. Wie sie im blauen Neonlicht nach deinem Hosenschlitz suchte und alles schluckte, ohne etwas auszuspucken, obwohl du sie um nichts gebeten hattest, wie du ihr braunes Haar gestreichelt hast im Dunkel der Bar, hast du mir erzählt, und daß es so perfekt getimed war von Anfang bis Ende, daß Annie, die mit dir dort war, dich nicht erwischte.
    Vermutlich wußte Gott vor der Schöpfung noch nicht, daß die Geschichten, die man
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