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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig
Autoren: Nelly Arcan
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erzählt bekommt, immer die längsten sind, mit viel zu vielen Einzelheiten zwischen den Zeilen. Ob die Bäume noch stehen am Mont-Royal, seit ich das verborgene Antlitz der Dinge fürchte und die Entdeckung deiner Gegenwart darin? Ich bin böse auf die Sterne, weil sie so unerbittlich auf die zufällige Bahn der Frauen im Leben der Männer herabsehen, ich bin böse auf die Sonne, die gleichmütig alle Menschen bescheint, auch die Nachbarinnen, die sich vor deinem Fenster rekeln könnten, brünette Nachbarinnen, die womöglich mit dem Hintern wackeln, die Hände hinter dem Kopf verschränken oder sich gar quietschend mit kaltem Wasser bespritzen. Ich bin böse auf alle Frauen in deiner Ecke des Plateau Mont-Royal, weil sie aus dem Repertoire des Unerhörten die kleinen Mädchen herausholen könnten, die dir einen Ständer bescheren.

    Am Anfang haben wir uns gut verstanden; ich gab mir Mühe, offen zu sein, weil ich auf keinen Fall wollte, daß du dich an meinem Wesen stößt. Ich habe Sachen mit dir gemacht, die ich sonst nur mit Freiern machte. Wir taten, was Liebende sonst nicht tun, denn es gibt solche und solche Sachen, die einen bleiben in der Familie, die anderen macht man mit Fremden. Wenn ich das mit dir getan habe, dann vielleicht, weil mir klar war, daß du der letzte sein würdest, der mich berührt, vielleicht auch, weil ich wie du bis zum Ende gehen, weil ich den letzten Rest Jungfräulichkeit von den Wänden kratzen wollte, und sicher, um dir neben meiner Gefügsamkeit weitere Grün-de zu liefern, mich zu verlassen. Frauen, die eine feste Beziehung anstreben, müssen wohl widerspenstiger sein.
    Anfangs hast du mich beim Ficken bohrend angesehen und mir mit einer Hand, in der die Kraft des Meisters vor einer Entscheidung pulsierte, die Kehle zugedrückt; du wußtest, wie du mir weh tun konntest, ohne mir große Schmerzen oder Verletzungen zuzufügen. Fünfmal hast du mich angespuckt, ohne den Blick zu senken, dreimal in den Mund und zweimal auf die Wangen. Komisch, daß man sich bei so was immer die exakte Zahl merkt, warum, ist wissenschaftlich noch nicht geklärt, wahrscheinlich, weil es so verstörend ist, daß es darüber nichts weiter zu sagen gibt. Hätte meine Tante die Spucke in den Karten sehen können, hätte sie vermutlich auch nichts darüber gesagt, es gehört wohl zur Gabe des Sehens, daß man sich nicht ins Unerklärliche vorwagt.
    Was daran denn so schlimm sei, könntest du fragen, schließlich haben mich vor dir schon andere angespuckt und ich habe andere angespuckt für Geld. Was denn der große Unterschied sei, könntest du fragen, zwischen Anspucken und Beißen oder Anspritzen beispielsweise.
    Schließlich habe ich als Nutte ja schon die schlimmsten Dinge gesehen und gehört, alles, was man mit den bloßen Organen ohne gemeinsame Geschichte und ohne Liebe anstellen kann, jeden peinlich unwillkürlichen Laut. Ich muß aber heute Ordnung in unsere Geschichte bringen, vielleicht weil unsere Liebe sich in etwas verirrte, wo sie nicht hingehörte, vielleicht weil ich Anspucken für Liebe hielt und du nur die Spuren lieben kannst, die du am anderen hinterläßt.

    Ich habe mich im Nova auf den ersten Blick in dich verliebt, obwohl ich ahnte, daß unsere Unterschiede das einzig Gemeinsame bleiben würden, obwohl du erzählt hast, daß sich neuerdings in Kalifornien alle Frauen von plastischen Chirurgen enge Mädchenmösen machen lassen, und das vor Adam. Du hast eine ausführliche Antwort bekommen, sich eine Mädchenmöse machen zu lassen sei verlorene Liebesmüh, sagte ich, inzwischen beherrschten nämlich echte kleine Mädchen die Welt, mit glattem Körper, haarlos wie ihre kleine Muschi, die dennoch allen offen stehe, ganz zu schweigen von den Millionen Asiatinnen, die in dieser Hinsicht alle anderen toppen. Wenn aber Liebe mit Enge zu tun hat, sagte ich, könnten die Frauen sich das Geschlechtsorgan sparen, sie haben ja einen Arsch, um dem Mann das Spiel mit dem Widerstand zu erlauben und ihm das Gefühl zu geben, er sei der Größte. Eines Tages, hast du erwidert, werden keine Kinder mehr aus der Möse kommen können, weil sie in der von der Liebe gewollten Enge gefangen sind; wir waren beide gutgelaunt an diesem Abend und warfen uns schlagfertig die Bälle zu. Die Liebe schlägt im Dunkeln ihre Wurzeln, ich konnte nichts dagegen tun. Wenn ich das gewußt hätte, wie man so sagt, aber ich wußte es eigentlich, und es hat doch nichts geholfen.
    Wir haben viel geredet im Nova, vielleicht
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