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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig
Autoren: Nelly Arcan
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Anstieg der Lust, dem Ausscheidungs-drang oder von Gemütszuständen, die die Eizelle an ihrer Befreiung hindern, sagte ich zum Beispiel, könnte es ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen geben.
    Und wenn Frauen sich ihrer Fruchtbarkeit entladen könnten wie die Männer, würde keiner mehr einen hochkriegen, so beschäftigt wärt ihr dann mit dem Problem des weiblichen Ergusses, daß ihr stundenlang mit euren Freunden telefonieren und Boutiquen abklappern würdet, um euch sexy zu machen. Ich habe auch behauptet, daß die Bipolarität, die unser Universum beherrscht, weil sich alle Atome nach ihr ausrichten, und die alle paar Millionen Jahre Nord- und Südpol vertauscht, Männern ein weibliches Wesen verleihen könnte. Mein Großvater hätte sich, wenn er mich so reden gehört hätte, im Grab umgedreht, er glaubte nicht an die Evolution der menschlichen Art, er glaubte nur an ihr Verschwinden.

    Vor mir hattest du nur Brünette. Damals war ich mir nicht sicher, aber heute weiß ich, daß das Blond, das ich mir jeden Monat in meine kastanienroten Haare schmier-te, eine Bedeutung hatte für deine Liebe, die nach acht Monaten nicht mehr wußte, wohin, und schließlich zu den Frauen deiner Erinnerungen zurückkehrte. Ich sage das, weil es bestimmte Konstanten gibt bei deinen Frauen, die braunen Haare zum Beispiel und den mädchenhaf-ten Klang ihrer Namen mit N und I, Nadine, Annie und Annick. Ich habe im Lauf meines Lebens schon mindestens zehn Namen getragen, doch du hast mich als Nelly kennengelernt, irre, wie sich das wiederholt, so als liefe alles auf die Nannie zu, den Inbegriff der Frau, die wahre Mutter mit Brüsten zum Stillen und Armen zum Wiegen am Anfang der Zeit und am Ursprung deiner Welt, warum sollten zwei kleine Buchstaben nicht der Code für deinen Schwanz sein und eine Haarfarbe die Antwort auf all deine Fragen? Ich habe auch überlegt, ob hinter den Namen der Männer, die ich liebte, ein anderer Name stand, der eines Patriarchen zum Beispiel, ein Name, der für meinen gemacht war, der den Entscheidungen meines Vaters entgegenstand und meinen schlimmsten Albträumen ein Ende setzte, der Name der großen Liebe, für die ich mein Leben geben würde, wie man so sagt, um Kindern begreiflich zu machen, daß man für die Liebe einen hohen Preis zahlt. Aber ich fand nichts, und vielleicht ist es besser so, denn wenn man sein Schicksal im Namen eines anderen sieht, zwingt einen das vielleicht zu leben.
    In meinem derzeitigen Zustand ist es mir lieber, wenn das Tarot meiner Tante weiter schweigt.

    Im Nova wußten nur meine Freunde, wie ich wirklich hieß, für alle anderen war ich Nelly. So war der Name, mit dem ich zu dir kam, eine Fortsetzung der Namen aus deiner Vergangenheit. Dennoch blieb deine Liebe ein Mysterium, weil ich nicht brünett war, meine Haarfarbe paßte nicht ins Programm. Alle glauben, ich mache mir etwas vor, schließlich hat jeder schon von aufregenden Blondinen gehört oder von häßlichen Brünetten, mit denen man nicht reden kann, aber sie bedenken dabei nicht, daß die Schönheit einer Frau nutzlos ist, wenn sie den Wünschen eines Mannes nicht entspricht, so daß die schönste Blondine einen Mann mit der Sehnsucht nach jener Wärme, die gemeinhin der Liebe von Brünetten zugeschrieben wird, vollkommen kaltlassen wird. Wenn ich diesen Brief an dich fertig geschrieben habe und beschließen sollte, mich doch nicht umzubringen, könnte ich ja brünett werden, um auszuprobieren, ob du mich dann wiederhaben willst, aber warum sollte ich riskieren, daß du, während meine Haare nachwachsen, die echte Farbe unter der falschen ahnst, ich habe genug von diesen chemischen Verführungsmanövern, die mir schon zu oft unter die Haut gegangen sind.
    Nun könntest du natürlich sagen, ich müßte mich gar nicht so anstellen wegen der Brünetten, schließlich hast du im Bily Kun, wo wir jeden Freitag waren, genauso zu den Blondinen hingesehen, mehr sogar, weil die hellen Köpfe mit der weißen Haut im Schummerlicht der Bar dem Auge einen Halt boten. Einmal hast du behauptet, aus der Höhe deiner eins neunzig sei zu erkennen, daß die Blondinen an einem Ort verharrten, während die Brünetten ständig in Bewegung seien, was daher komme, daß Blondinen ohnehin gesehen würden, Brünette dagegen ihre Ellbogen einsetzen mußten, um die Blicke der Männer auf sich zu ziehen. Dank der sehr blonden Blondinen, sagtest du an jenem Freitag und legtest mir dabei die Hand auf den Kopf, deine riesige Hand,
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