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Hoerig

Hoerig

Titel: Hoerig
Autoren: Nelly Arcan
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weil ich dir so verbissen alles sagen und dir die Welt auf den Rücken laden wollte, um dich zu fangen.
    Zu deinem Akzent kam noch einiges hinzu, sicher deine eins neunzig Größe, deine riesigen Hände und die Augen, die so dunkel waren, daß man die Pupille nicht sah. Als kleines Mädchen habe ich mich in einen Jungen verliebt, weil er einen so ausgefallenen Namen hatte, er hieß Sebastien Sebapcedis. In meinem ganzen Leben ist mir dieser Name nicht mehr untergekommen. Mein Großvater sagte, daß man nur aus kindischen und haltlo-sen Gründen liebt und wegen dieser wackligen Basis der Gefühle Gott gegenüber den Glauben braucht.
    Unsere Geschichte entstand aus einem Mißverständnis über die Einzelheiten und nahm ein tragisches Ende, doch das ist in der Vergangenheit schon anderen passiert.
    Aschenputtels Prinz zum Beispiel hat sie mit ihrem Schuh quer durch sein ganzes Reich verfolgt und damit nur zu erkennen gegeben, daß ihr Gesicht ihm fremd geblieben war, obwohl er mit ihr Walzer getanzt hatte bis Mitternacht. Jeder x-Beliebige hätte schon aufgrund dieser Information das schlechte Ende vorhersehen können, meine ich. Wenn Eltern einmal gelernt haben werden, ehrlich zu ihren Kindern zu sein, werden sie ihnen sagen, daß aus der Begegnung des Prinzen mit Aschenputtels Fuß nichts herauskam als zahlreiche Kinder im Haus, und daß die Tragik der Geschichte in ihrem Ende liegt, der Zahl der Kinder. Wenn Eltern endlich ehrlich sind, werden sie ihren Kindern sagen, daß im Märchen so der Lebensüberdruß kaschiert wird: Zeugung und Schluß.

    Auch du hast dich in mich verliebt, aber nicht gleich, weil bei dir die Liebe nach dem Ficken kommt oder auf ewig dort bleibt, wo sie sich beim letzten Mal niederge-lassen hat, in den Händen von Nadine zum Beispiel, die instinktiv wußte, wie sie dich wichsen mußte, oder zwischen ihren Schenkeln. Brünette fühlen sich wohl in ihrer Haut und sind viel schärfer als Blondinen, hast du einmal gesagt, ohne zu bedenken, daß ich weder blond noch brünett war. Angeblich muß ein Mann eine Frau mindestens zehnmal ficken, um sich in sie zu verlieben, und noch öfter, um sie in der Öffentlichkeit Schatz zu nennen, das steht jede Woche in irgendeinem Modemagazin, Ficken ist die Grundlage der Beziehung. Nach ein, zwei Monaten war deine Liebe zu Ende, und als ich mir die Haare blondierte, um in deinem Denken über Frauen vorzukommen, war ich schon froh, daß du mich noch gefickt hast.
    Du hast mich geliebt, aber die zeitliche Verschiebung gegenüber meiner Liebe, die von Anfang an da war, gab deiner Liebe einen Anstrich von Arbeit; du mußtest deinen Teil dazu beitragen, du mußtest dich dazu überre-den. Arbeit hatte bei dir immer einen großen Stellenwert, in der Liebe und überhaupt, das hast du mir am Abend deines Abgangs selbst gesagt. Du willst dich auf deine Karriere konzentrieren, hast du an diesem Abend gesagt, und daß ich dich Kraft koste und du dir diese Belastung lieber ersparen würdest, du hast das unter energetischen Gesichtspunkten betrachtet.
    Du warst nicht der erste, der so zu mir sprach. Ich habe schon oft gehört, daß ich anstrengend bin, und hätte gern gewußt, was es bedeutet. Daß es kein Kompliment war und nichts Gutes verhieß, war mir klar, auch wenn manche Männer meinten, hinter meiner Unnahbarkeit eine geheimnisvolle Anziehungskraft zu spüren. Wenn sie mich anstrengend nannten, hieß das für mich immer, sie dankten ab, es war ein Abschied, das Geheimnis sollte ein Geheimnis bleiben. Wenn ich heute zurückdenke, bin ich wahrscheinlich nur auf den Strich gegangen, um einfacher zu werden, der Beruf der Hure erfordert sofor-tige Offenheit, im Web wurde ich dafür früher oft gelobt.
    Ich sei open minded, hieß es. In diesem Beruf muß sich der Geist vor allem anderen öffnen.

    Wir hatten auch schöne Momente miteinander. Ein, zwei Monate nach unserer ersten Begegnung im Nova war die Liebe gegenseitig. Da gab es magnetische Augenblicke, wo wir uns nicht mehr die Mühe geben mußten, unsere Sätze zu vollenden, so genau wußte der eine, wohin der andere wollte. Das war die Phase der Selbstbetrachtung im anderen. Dann gab es eine kurze Periode, in der wir uns über alles verständigen konnten, sogar darüber, daß Männer und Frauen einander nicht verstehen. Ich erinnere mich noch an das Buch, das du damals gelesen hattest, da kamen die Männer vom Mars und die Frauen von der Venus, und ich erinnere mich, wie darin sämtliche Miß-
    verständnisse lang
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