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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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Bauch und formte mit den Lippen die Worte
Rødgrød med fløde!
in die Kamera. Das war seine Leib- und Magenspeise. Damit Mutter in Skagen schon mal Bescheid wusste.
    Wenn er es schaffte, hier nur einigermaßen ordentlich herunterzukommen, dann gäbe ihm vielleicht sogar Königin Margrethe persönlich die Hand. Der letzte Däne, der im Skispringen etwas gerissen hatte, war Olaf Rye im Jahre 1808, und das war dann doch schon gut zweihundert Jahre her. Nicht dass ihm das mit der dänischen Königin persönlich etwas gegeben hätte, aber Mutter würde sich sicher darüber freuen. Er bekam nun das Zeichen, an den Start zu gehen. Am Absprungbalken klebte – ganz lieb! – ein Telegramm vom Skiclub Skagen: »viel glueck stop du packst sie alle stop«. Er rutschte in die Mitte des Balkens, dann stieß er sich ab. Rasch nahm er Fahrt auf und glitt im Winkel von 35 Grad nach unten. Steigender Puls, erhöhter Blutdruck, Adrenalin- und andere Ausschüttungen, Blutzuckererhöhung, das Übliche, um in die richtige Stimmung zu kommen. Es ging das Gerücht um, dass der Finne Leif Rautavaara einen iPod im Ohr stecken hatte, wenn er ins Tal rauschte. Ein paar Nationen hatten schon protestiert, es war ja schließlich auch eine Art Doping. In der Presse wurde daraufhin spekuliert, was sich Rautavaara
in den paar Sekunden anhörte. Beethovens Fünfte (tatata- TAAA !!) würde von der Länge her passen, Rimski-Korsakows Hummelflug (brzldidlbrzldidlbrzl … ) bildete die verbissene Energie des Springers am besten ab, und die Alpensinfonie von Richard Strauss ( WROMM !!! BLOMM !!! FLOMM !!!) passte wie von selbst ins lieblich-wuchtige Voralpenland. Manche allerdings vermuteten, dass Rautavaara mit einem beziehungsreichen
     Song von Paul Simon (
Slip slidin’ away
...) nach unten ins Tal schoss.
     
    Åge Sørensen schüttelte die ablenkenden Gedankenspiele ab. Er konzentrierte sich. Er bündelte alles auf den Absprung dort unten. Konzentration aufs Wesentliche, Tunneldenken. Gleich musste der tausendmal geübte Ablauf abgerufen werden, der auf die kleine Zehntelsekunde am Schanzentisch zuführte, die alles beim Skisprung ausmacht. Åges Blick verengte sich. Ganz von fern hörte er noch seinen Namen, dann das übliche anschwellende Ah und Oh der Menge. Sechsundzwanzigtausend Zuschauer reckten die Köpfe nach oben. Und auch die nordische Asengöttin Skaði (Kompetenzen: Jagd, Berge, Winter) saß auf seinen Schultern und breitete schon mal behutsam ihre Schwingen aus, um ihn auf seinem Weg in die Tiefe zu beflügeln.
    Sein Absprung war hervorragend, wie aus dem Lehrbuch, und hoch erhob sich der dänische Ikarus ins Blaue. Seine Haltung war natürlich nicht zu vergleichen mit den ausgefeilten Kunstflügen der Happonens, Kankkonens oder Ahonens, aber er hielt sich, beschwingt durch die Göttin Skaði, ausgesprochen respektabel in der Luft. Sechsundzwanzigtausend Köpfe verfolgten die Sichelkurve, die zusammengestauchte y 2 = 2px-Parabel, den Ypsilon-quadrat-ist-gleich-zwei-p-x-Schlenzer. Jetzt aber, am obersten Punkt des Kegelschnitts, an dem Punkt, wo es höher nimmer geht, kam er ins Schlingern, der Däne, ins
Trudeln, er legte sich seitlich wie ein Kajakfahrer in einer neuen Wasserströmung, das war keine gute Flugtechnik, das war gar keine Technik mehr, nein, das war ein Absturz. Er zog ein Bein leicht an und drehte sich seitlich um die eigene Achse, er flog mit dem Rücken voraus, er versuchte sich zu fangen, versuchte dem unvermeidlichen Höllensturz entgegenzusteuern, geriet aber immer mehr ins Rudern und Strampeln, und aus dem erschrockenen Raunen der Menge stachen schon einzelne spitze Schreie heraus.
    Mancher unten in den Arealen A bis F hoffte, dass er sich wieder fing, der nordische Kämpfer, einziges Mitglied der dänischen Nationalmannschaft, dem man doch auch deswegen ein bisschen Sympathie entgegenbrachte. Mancher dachte, dass es vielleicht nur ein Spaß war, eine kleine Einlage, ein nordländischer Joke. Aber es war kein Spaß. Es war ein granatenmäßiger Sturz. Und jetzt kochte das Raunen und Schreien zu einem Kreischen hoch. Der Stadionsprecher, sonst auf alle Eventualitäten vorbereitet, schrie ins Mikro:
    »Um Himmels –!«
    Dann verstummte auch er. Der Däne flatterte kopfüber auf die schräge Landebahn, und bevor er aufschlug, wandten sich viele ab. Man glaubte das Knirschen der Knochen bis in die entferntesten Areale zu hören.

3
    Unter denen, die sich nicht abwandten und ganz bewusst hinsahen, waren der frisch
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