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Imperium

Imperium

Titel: Imperium
Autoren: Christian Kracht
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ERSTER TEIL
     
    I
     
    Unter den langen weißen Wolken, unter der prächtigen Sonne, unter dem hellen Firmament, da war erst ein langgedehntes Tuten zu hören, dann rief die Schiffsglocke eindringlich zum Mittag, und ein malayischer Boy schritt sanftfüßig und leise das Oberdeck ab, um jene Passagiere mit behutsamem Schulterdruck aufzuwecken, die gleich nach dem üppigen Frühstück wieder eingeschlafen waren. Der Norddeutsche Lloyd, Gott verfluche ihn, sorgte jeden Morgen, reiste man denn in der ersten Klasse, durch das Können langbezopfter chinesischer Köche für herrliche Alphonso-Mangos aus Ceylon, der Länge nach aufgeschnitten und kunstvoll arrangiert, für Spiegeleier mit Speck, dazu scharf eingelegte Hühnerbrust, Garnelen, aromatischen Reis und ein kräftiges englisches Porter Bier. Gerade der Genuß des letzteren schuf unter den rückreisenden Pflanzern, die sich - in das weiße Flanell ihrer Zunft gekleidet - auf den Liegestühlen des Oberdecks der Prinz Waldemar eher hingeflezt als anständig schlafen gelegt hatten, für eine überaus flegelhafte, fast liederliche Erscheinung. Die Knöpfe ihrer am Latz offenen Hosen hingen an Fäden lose herab, Soßenflecken safrangelber Curries überzogen ihre Westen. Es war ganz und gar nicht auszuhalten. Bläßliche, borstige, vulgäre, ihrer Erscheinung nach an Erdferkel erinnernde Deutsche lagen dort und erwachten langsam aus ihrem Verdauungsschlaf, Deutsche auf dem Welt-Zenit ihres Einflusses.
    So oder so ähnlich dachte der junge August Engelhardt, während er die dünnen Beine übereinanderschlug, einige imaginäre Krümel mit dem Handrücken von seinem Gewand wischte und grimmig über die Reling auf das ölige, glatte Meer hinaussah. Fregattvögel begleiteten links und rechts das Schiff, nie war es weiter weg von Land als hundert Seemeilen. Auf und ab tauchten sie, diese großen, schwalbenschwanzähnlichen Jäger, deren vollendetes Flugspiel und kuriose Beutemanöver jeder Südseefahrer liebte. Auch Engelhardt begeisterte sich für die Vögel des Pazifischen Ozeans, insbesondere für den Glockenhonigfresser anthornis melanura, früher, als Bub, hatte er sie und ihr herrliches, ausladendes, in der Glutsonne seiner kindlichen Imagination schimmerndes Gefieder stundenlang in den Folianten untersucht, mit den kleinen Fingern über ihre Schnäbel fahrend, über ihre bunten Federn.
    Nun aber, da Engelhardt tatsächlich unter ihrem Flügelschlag fuhr, hatte er keine Augen mehr für sie, nur für die dickleibigen Pflanzer, die - lange schon unbehandelte, tertiäre Syphilis in sich tragend - jetzt zurückkehrten auf ihre Plantagen und über den trocken und ermüdend geschriebenen Artikeln in Der Tropenpflanzer oder der Deutschen Kolonialzeitung eingeschlafen waren und nun schmatzend träumten von barbusigen dunkelbraunen Negermädchen.
    Das Wort Pflanzer traf es nicht richtig, denn dieser Begriff setzte Würde voraus, eine kundige Beschäftigung mit der Natur und dem hehren Wunder des Wachstums, nein, man mußte im eigentlichen Sinne von Verwaltern sprechen, denn exakt das waren sie, Verwalter des vermeintlichen Fortschritts, diese Philister mit ihren gestutzten, in der Berliner oder Münchener Mode von vor drei Jahren gehaltenen Schnurrbärten unter rotgeäderten Nasenflügeln, die ihrerseits bei jedem Ausatmen heftig zitterten, und mit den darunter gelegenen, flatternden, schwammigen Lippen, an denen Speichelbläschen hingen, als würden diese, könnten sie sich nur von ihrem labialen Klebezustand befreien, sich von selbst in die Lüfte begeben, wie die schwebenden Seifenblasen eines Kinderspieles.
    Die Pflanzer wiederum lugten unter den Augenlidern hervor und sahen dort, etwas abseits, ein zitterndes, kaum fünfundzwanzig Jahre altes Nervenbündel mit den melancholischen Augen eines Salamanders sitzen, dünn, schmächtig, langhaarig, ein eierschalenfarbenes, formloses Gewand tragend, mit langem Bart, dessen Ende unruhig über den kragenlosen Kittel strich, und man fragte sich wohl kurz, was es mit diesem Manne auf sich hatte, der bei jedem zweiten Frühstück, ja selbst bei jedem Lunch in einer Ecke des Salons der zweiten Klasse saß, alleine an einem Tisch vor einem Glas Saft, eine halbe Tropenfrucht sorgsam zerteilend, dann zum Dessert eine kartonierte Verpackung öffnete und daraus in ein Wasserglas etwas braunen, pudrigen Staub löffelte, der allem Anschein nach aus pulverisierter Erde bestand. Und diesen Erdpudding auch noch aß! Wie exaltiert! Ein Prediger
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