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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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Jahre 1830, als immer noch mit Skistöcken gesprungen wurde, rammte sich der Norweger Inger Faldbakken einen solchen in den Leib. Der Schweizer Romulus Winkli, der 1841 im walliserischen Täsch die erste Schweizer Schanze gebaut hatte, kam um, als er sie testen wollte. Der Franzose René Dupree brach sich 1842 in Chamonix das Genick, als er versuchte, nicht mit den Armen zu rudern, wie es damals üblich war, sondern einen neuen, windschlüpfrigeren Stil zu entwickeln und die Arme anzulegen, 1902 kam es im mittelfinnischen Jyväskylä bei einem Springen zu einer Massenschlägerei mit zwei Toten, im Jahre drauf brach die Unterkonstruktion der Skischanze im Steirischen Mürzzuschlag (ja, da wird auch skigesprungen!) zusammen – insgesamt waren hier vier Opfer zu beklagen, worauf der Konstrukteur, der Geheime Rat Oberingenieur Florian Plätschgeigl, der sich dafür verantwortlich fühlte, Selbstmord beging. 1911 (der Weltrekord stand inzwischen bei 41 Metern) stürzte der Amerikaner Gregory O'Connan schwer. Er nahm noch an der Siegerehrung teil, schleppte sich aufs Siegerpodest, brach aber nach der Nationalhymne tot zusammen – ein wahrhaft amerikanisches Schicksal. 1946 gab es einen skurrilen Unfall im schwedischen Sysslebäck, als der Springer Pär Hägg zwar gut landete, aber im Auslauf mit einem Zuschauer kollidierte, der lediglich zu seiner Familie auf der anderen Seite des Parcours wollte. Der Springer überlebte den Zusammenstoß, der Familienvater nicht.
     
    »Skispringen ist halt nicht Halma.«
    Mit diesem gut überlegten Aperçu war Sven Ottinger, Vorsitzender des Skiverbandes Oberbayern, bekannt geworden, den Spruch pflegte er bei jeder Gelegenheit zu bringen. Ottinger war der Einzige, der nach dem Unfall greifbar war, und so gab er das erste Interview zum Geschehen. Das Bonmot blieb auch diesmal nicht aus, und um die Peinlichkeit etwas abzumildern,
setzte man auf die Bildwirkung der Großen Olympiaschanze, die sich im Hintergrund drohend nach oben reckte. Sonst ein Symbol des Fremdenverkehrs, war sie heute eher das Leitmotiv des Grauens. Die Kamera schwenkte hin und her.
    »Herr Ottinger, ist es denn wirklich sinnvoll, solch kleine, unerfahrene Skinationen wie Dänemark mit ihren ungeübten Springern auf die Zuschauer loszulassen?«
    »Das hätte einem großen Springer, einem Springer aus einer großen Sprungnation auch passieren können.«
    Der Moderator konnte sich nicht verkneifen, die Tatsache zu erwähnen, dass Dänemark nur eine einzige Sprungschanze sein Eigen nenne, und die stünde auch noch in Grönland. Die Kamera schwenkte hinüber zum Klinikum und zoomte auf den Eingang. Da kam aber jetzt, eigentlich unpassend zur höheren Dramatik der Ereignisse, ein hustender Patient mit COPD im Endstadium heraus, um vor der Tür eine Rauchpause einzulegen. Das musste natürlich weggeschnitten werden.
    Der Däne lag da drinnen, irgendwo auf einem Zimmer des Riesenkomplexes. So gut wie keine Informationen drangen nach außen, man wusste nur, dass noch Leben in ihm war. Die Krankenhausleitung hatte keine Drehgenehmigung erteilt, nicht einmal besuchen durfte man Sørensen, nur den dänischen Trainer Andersson ließ man hinein, wobei schon in der Vorberichterstattung die meisten Zeitungen das Wort »Trainer« gemeinerweise in Anführungszeichen gesetzt hatten. Dann hatte man doch noch einen Lokalprominenten vor die Linse bekommen. Es war Gemeinderat Toni Harrigl, zweiter Fraktionsvorsitzender seiner Partei, dritter Vorsitzender des örtlichen Hornschlittenvereins und beschäftigt in weiteren fünfzig anderen ehrenvollen Vereinigungen. Der Kameramann zoomte auf sein Gesicht, die Reporterin fuhr ihm mit dem Mikrophon an den Mund, als wollte sie ihm eine Magensonde legen.
    »Ganz kurz nur«, sagte Harrigl und bereute, nicht die telegenere
silberne Krawatte umgebunden zu haben. »Schreckliche Sache«, sagte er.
    »Worauf führen Sie den Sturz zurück? Könnte es eine Windbö gewesen sein?«
    Der Lokalpolitiker machte ein Gesicht, als wäre es eine unverschämte Unterstellung, in einem blitzsauberen Sportparadies wie diesem so etwas wie eine Windbö anzunehmen.
    »Eine Windbö schließe ich aus, es war ein bedauerliches menschliches Versagen.«
    »Der Ort hat sich bekanntlich für die Winterspiele 2018 beworben. Zieht er die Bewerbung nach diesem Unfall zurück?«
    »Ich bitte Sie! Bei uns ist noch nie etwas passiert, unsere Sicherheitsstandards sind hoch, es war ein technischer Fehler des Springers, wie gesagt:
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