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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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Landmaschinen-, Autound Fleischfabrikanten, oberländische Kulturschaffende, alpennahe Mitglieder des bayrischen Landtags, aber auch internationale Größen wie etwa der hessische Innenminister. Einige
Lokalpolitiker im Pflichtloden, zwei hohe Sportfunktionäre, Franz Beckenbauer (leibwächterlos, denn wer würde es wagen, dem Kaiser ein Leids zu tun!), ein androgyner Starfriseur, zwei Popgrößen und ein halbseidener Grundstücksmakler liefen nun hinaus, in den Vorraum oder gar ins ungeschützte Freie, um eine SMS abzusetzen, um zu telefonieren oder um den Chauffeur zu rufen. Ein paar andere kamen gerade wieder herein, so dass gegenläufige und unübersichtliche Bewegungen im Raum entstanden. Unübersichtliche Bewegungen sind Vorkommnisse, die der Spezies der Personenschützer normalerweise ein Graus sind. Doch Jusuf blieb cool, sein Blick wurde hart, er scannte den Raum. In einiger Entfernung drängten sich Jacques Rogge und der winkende Kalim al-Hasid aufeinander zu. Dort hinten stand ein Generalbundesanwalt (mit drei Leibwächtern), die Chefin eines weithin bekannten Zeitungsverlags (zwei Leibwächter), ein ehemaliger Berater eines ehemaligen Politikers (ein Leibwächter) und, wie gesagt, Beckenbauer, schutzlos, aber mit einer Zweihundert-Euro-Zigarre in der Hand. Und plötzlich erblickte Jusuf etwas sehr Eigenartiges.
    Hinter Kalim al-Hasid hatte sich ein Mann geschoben, ein Mann im Skianorak mit SC
-Riessersee
-Aufdruck, so viel konnte er zwischen den drängelnden Leibern hindurch erkennen. Der Mann war eher schlank und zierlich. Er nestelte an seinem Skianorak herum und öffnete den Reißverschluss. Quer über die Brust lief ein Pistolenholster, leer, wie Jusuf sofort bemerkte. Das durfte doch nicht wahr sein! In der Hand hielt dieser Mann eine Handfeuerwaffe, aber hier konnte Jusuf eben nicht erkennen, um was für ein Fabrikat es sich handelte. Es hätte eine kleine Glock 17 sein können oder eine Heckler & Koch USP , Jusuf hätte nicht darauf wetten mögen. Auch eine Beretta der 80er-Serie oder sogar eine Walther PP mit Double-Action-Abzug hätte es sein können, alles wäre möglich gewesen, Jusuf konnte es in der Kürze der Zeit nicht ausmachen. Die Waffe
zeigte nach unten, doch jetzt griff der Mann mit der anderen Hand an die Schulter Kalim al-Hasids und zerrte daran. Ob er ihn ansprach, konnte Jusuf nicht sehen, denn der Blick auf das Gesicht des bewaffneten Anorakträgers war ihm immer noch versperrt durch das Gedränge und Geschiebe im Raum. Was er aber jetzt sah, war, dass der Mann die Waffe so hob, dass sie auf Kalims Rücken zielte. Und jetzt reagierte Jusuf blitzschnell. Er zog seine Zenelli, eine Spezialanfertigung der Firma Carletto Inc. mit extrem schalldämpfendem Gehäuse, die beim Schießen wirklich nur einen winzigen Plop macht, ein Sssrit!, und da irgendein Anruf wie
Legen Sie die Waffe weg!
hier im lärmenden Getümmel sinnlos war, schoss Jusuf auf den Mann im Skianorak.

4
    Man denkt immer, Journalisten sind Tag und Nacht damit beschäftigt, Fakten nachzujagen. Doch die Fakten sind ohnehin immer dieselben: Unfälle und Niederlagen, verknüpft mit Zahlen. Journalisten aber wollen mehr. Sie wollen Zusammenhänge, Hintergründe, Querverbindung, Wechselwirkungen. So war es auch im Kurort bei den versammelten internationalen Sportreportern. Åge Sørensen war noch nicht ganz fertig mit dem Stürzen, da fingen die Ersten schon an zu googeln, was das Zeug hielt: Wann der letzte Unfall geschehen war beim Skispringen, wann der erste, wie viele Unfälle es schon auf einer solchen K-125-Schanze wie dieser gegeben hatte, wie viele beim Neujahrsspringen. Wie viele Tote, der älteste Tote, der jüngste Tote, die erste tote außereuropäische Frau, und wie das Skispringen überhaupt dastand in puncto Gefährlichkeit, im Vergleich zu Sportarten wie Radrennen oder Eisstockschießen. So surften sie und telefonierten, fetzten die Ergebnisse in ihre Notebooks und bastelten an ihren Das-ist-genau-das-wovorwir-immer-gewarnt-haben-Kommentaren.
     
    Und in der Tat kann die Geschichte des Skispringens auch als die Geschichte seiner Stürze erzählt werden. Im Jahre 1808, als es in der norwegischen Region Telemark Mode geworden war, über zugeschneite Almhütten zu springen, lag der Weltrekord bei 9,5 (!) Metern, aufgestellt vom Dänen (!) Olaf Rye. Den ersten Toten gab es schon 1811: Der Kanadier Jean-Baptiste Garneau verunglückte in Brisebois bei Calgary beim Sprung über einen
aufgeworfenen Schneehügel. Im
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