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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Autoren: Catherine Banner
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    D ies sind die letzten Wort e, die ich schreiben werde. »Er zähl mir alles von Anfang an«, sagtest du. »E r kläre mir, warum du es getan hast.« Das habe ich. Es gibt nun nichts mehr hinzuzufügen.
    Der Staub weht über den Steinboden des stillen Ba l kons . Ein kühler Wind – der erste Wind des Herbstes – stiehlt sich zwischen die Buchseiten und zieht die Sterne hinter sich her in den dunkler werdenden Himmel. L a chen steigt von den tief unter mir gelegenen Räumen auf; noch weiter darunter erwachen die Lichter der Stadt in der hereinbrechenden Dunkelheit zum Leben. Als du vor einer halben Stunde hier warst, hast du eine Lampe für mich angezündet. Die Brise bringt sie nun zum Flackern und blättert die Seiten zurück zum Anfang. Dieses Buch erzählt die vergangenen fünf Jahre meines Lebens; ich weiß nicht, ob ich es nun einfach schließen kann.
    Ich habe nicht die Kraft, hinunterzugehen in den Lärm und das Licht der Party. Also blättere ich stattdessen die Seiten des Buches um und lese die Worte, die ich g e schrieben habe. Teile dieser Geschichte verfolgen mich noch immer in meinen Träumen; sie wiederholen sich in all meinen wachen Gedanken und weigern sich loszula s sen. Aber ich habe nicht begonnen, indem ich über diese Dinge schrieb.
    Ich begann mit dem Schnee und dem Buch.
     
    D er Schneefall setzte ein, während ich nach Hause ging. Es war kalt und bereits dunkel, obwohl es noch nicht mal fünf Uhr war. Mein Atem formte weiße Wölkchen in der Finsternis, und alles war still. Sogar das St ampfen und Poltern der Arme e pferde klang gedämpft. Die Schneeflocken waren so kalt, dass sie fast brannten, wenn sie mein G e sicht berührten; sie ließen sich auf meiner Kleidung nieder und blieben dort haften. Ich ve r suchte, sie wegzuwischen, und zog mir den Mantelkr a gen enger um den Hals.
    Ich war an Schnee gewöhnt – das waren wir alle –, aber nicht Ende Mai! Aller Voraussicht nach würde es noch mindestens eine Woche lang kalt bleiben. Dabei hatten wir bereits im Winter mehr als genug Schnee g e habt.
    Auf gewisse Weise war es schön, schätze ich. Die Wolken hatten sich wie ein Deckel über die schmalen Rechtecke des Himmels gelegt, und die Gaslampen brannten bereits. Der Schnee türmte sich gelb leuchtend auf ihrem Glas. Ich blieb abrupt stehen, und ohne das feuchte Knirschen meiner Schritte war es jetzt beinahe vollkommen ruhig. Ruhig, nicht still. Ich konnte das fe d rige Fallen der Schneeflocken in der unbewegten Luft hören.
    Ich sah zum Himmel hoch. Die Flocken trieben träge auf mein Gesicht zu und gaben mir das Gefühl, ich wü r de wachsen. Es wurde dunkler. Es wurde kälter.
    Ich dachte daran, nach Hause zu gehen, aber ich tat es nicht.
    Obwohl ich zu zittern begann, starrte ich weiter zum Himmel empor. Es wurde immer finsterer. Vielleicht hä t te ich die ganze Nacht dort gestanden. Ich war wie unter einem Zauber, und ich wollte sowieso noch nicht hei m gehen. Der unaufhörliche, wilde Strudel der Schneefl o cken machte mich schwindlig, und mein Hals tat vom Hochsehen weh. Noch immer fielen die Schneeflocken. Ich war hypnot i siert.
    Plötzlich fühlte ich jemanden in meiner Nähe, und der Bann war gebrochen. Ich befand mich wieder auf der Straße.
    Als ich mich umschaute, war da jedoch niemand. Nur eine unsichtbare Präsenz, so als würde sich jemand in der Dunkelheit verstecken. Plötzlich war mir übel. Mögl i cherweise gab es hier Geister, unsichtbare Schemen, die sich näherten. Ich drehte mich weg.
    Noch bevor ich drei Schritte gegangen war, stieß mein Fuß gegen etwas Schweres, und ich stolperte. Da war ein schwarzer Umriss im Schnee, übersprenkelt von den Fl o cken, die meine Füße hochgewirbelt hatten. Zuerst hielt ich es für ein totes Tier – möglicherweise eine Ratte, die dort erfroren war.
    Ich beugte mich weiter hinab. Jetzt erkannte ich, dass es sich gar nicht um ein Tier handelte, sondern um ein Buch. Nur ein Buch. Ich streckte vorsichtig die Hände danach aus. Noch immer konnte ich eine seltsame Anw e senheit spüren – die Gedanken von jemandem, die wie Nebelschwaden in der Luft hingen.
    Indem ich die Finger ein klein wenig anspannte und mich konzentrierte, versuchte ich, den Buchdeckel durch Willenskraft zu öffnen. Er rührte sich nicht. Das war ein Trick, den ich seit Jahren beherrschte, und normalerweise funktionierte er. Obwohl es eigentlich nur ein ganz bill i ger Trick war, mehr nicht. Er klappte auch bei der Bibel nicht.
    Ich war dem Buch
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