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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Autoren: Catherine Banner
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Kapelle steht. Der helle Streifen, der den Mond reflektiert, ist alles, was man von hier aus von dem See erkennen kann.
    Als sie sich dem Steinkreis zuwenden, sehen sie beide die Veränderung an den Steinen. Da, wo zuvor eine Lü c ke gewesen war, steht jetzt ein weiterer Stein. Mit einem Mal bewegt er sich, und sie erkennen, dass es in Wir k lichkeit ein Mann ist, der mit dem Rücken zu ihnen ein Stück abseits steht.
    Ein hoch gewachsener Mann mit bereits schütter we r dendem Haar, der dort im Schatten zwischen zwei Ste i nen steht, damit ihn das Mondlicht nicht erreichen kann. Ashley umklammert Annas Hand und drückt sich enger an sie. Sie haben beide Angst davor, in den Steinkreis zu treten, so als wäre er verzaubert.
    Irgendein kleines Geräusch lässt den Mann sich u m drehen. Anna steht nur da und sieht ihn an, und er sieht sie an.
     
    Wann immer Anna sich vorgestellt hatte, was geschehen würde, falls sie sich wiedersahen, hatte sie sich ausg e malt, wie sie es ihm sagte. Über die Jahre hatte sie vieles erdulden müssen; die Schande, die Schmerzen, die En t täuschung. Wie sie versucht hatte, sich durch das erste Semester an der Tanzakademie zu kämpfen, während die Übelkeit immer schlimmer wurde – oder als sie dann g e hen musste; das war vielleicht das Schlimmste gewesen. Dann all die Menschen, denen sie es sagen musste, und das, was sie daraufhin zu ihr sagten, sodass sie anschli e ßend lieber zu Hause blieb, als sich weiterhin irgendwe l chen Blicken und Bemerkungen auszusetzen. Allein zu den Untersuchungen im Krankenhaus zu gehen und die Geburt allein durchzustehen, während er vollkommen ahnungslos irgendwo anders war. All die Freunde, die erst weggingen und später fröhlich zurückkamen, um Anna von ihren Hochzeiten und neuen Häusern zu erzä h len, während sie das Baby auf ihrem Knie wippte. Und natürlich das Tanzen – die Mädchen, die sie während des ersten Semesters an der Tanzakademie kennen gelernt hatte, und das, was sie jetzt taten – die Shows, in denen sie auftraten; die Schulen, an denen sie unterrichteten.
    Und dann die Träume, die sie noch immer hatte, so als wäre sie nicht für immer aus dieser Welt ausgeschlossen.
    Ihr hatte nur das Glück gefehlt. Sie hätte ihre Träume verwirklichen können. Wenn sie es nicht hätte tun kö n nen, hätte sie nie die Chance bekommen, es zu versuchen. Sie hatte das Talent gehabt, die Entschlossenheit und den richtigen Einstieg. Alles, nur nicht das nötige Glück. Und was sie am allerwenigsten ertragen kann, ist, dass er es nie erfahren hat. Sie hat es sich viele Male vorgestellt, wie sie hier stehen und es ihm sagen und ihn zwingen würde zuzuhören.
    Er sieht aus, als ob er auch etwas sagen will. Doch am Ende sagt keiner etwas.
    Ryan tritt vor und streckt ihr die Hand entgegen. Sie nimmt sie schweigend. »Ich bin nie hierher zurückg e kehrt. Ich wollte zurückkommen, aber dann fing ich an, England zu vergessen. Anna, wir hätten uns nicht auf diese Weise trennen dürfen.«
    »Wir hätten zusammenbleiben sollen.« Sie drückt se i ne Hand fester. »Bist du tatsächlich hier? Ist es die Wir k lichkeit oder nur ein Traum?«
    In Ryans Augen schimmern Tränen, und er sieht weg, bevor sie fallen. Erst jetzt scheint er Ashley zu bemerken, der sie vom Rand des Steinkreises aus beobachtet und selbst mit den Tränen kämpft, weil er das alles nicht ve r steht. Ryan überquert die freie Grasfläche, kniet sich hin und sieht ihm ins Gesicht.
    Anna legt eine Hand auf Ashleys Schulter. »Ryan, das ist …«
    Er hebt die Hand, und sie verstummt. Plötzlich sieht er es an den Augen des Jungen. Dunkel und stolz, trotz se i ner verängstigten Tränen; starke Augen, wie seine eig e nen. Die Augen eines Königs.
     
    Es fällt mir schwer, das Buch zu schließen, aber ich we r de es tun. Und es wird schwer sein, es dich lesen zu la s sen, aber ic h w erde es tun. Und vielleicht, Aldebaran, wirst du es für eine traurige Geschichte halten. Aber das ist sie nicht – das ist sie wirklich nicht. Sie handelt von meinem Leben. Jedes Leben ist traurig. Jeder Mensch weint. J e der Mensch hat manchmal das Gefühl zu fallen. Doch am Ende lernen wir zu überleben.
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