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Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Autoren: Catherine Banner
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kleines Kind. Die Augen eines Königs, würden die Leute später sagen. Eine seltsame Stille e r füllte den Raum. Das Baby weinte noch nicht einmal.
    »Wie wird die Zukunft dieses Jungen sein?«, überlegte der König laut und dachte dabei an sein eigenes Leben.
    »Ich habe dich und jetzt noch einen Sohn«, entgegnete die Königin und wischte sich die Tränen vom Gesicht. »Wenn wir für immer so sind wie jetzt – wenn wir für immer zusammenbleiben –, dann werde ich für den Rest meines Lebens nicht um mehr als das bitten.«
     
    Fünf Jahre verstrichen, und sie waren stets zusammen. An diesem letzten Abend standen sie auf dem höchsten Balkon der Burg, als die Königin Schreie hörte, sich u m drehte und zur Stadt hinunterblickte. Der Prinz und sein Vater fochten hinter ihr gerade mit Holzschwertern. »Was ist los?«, fragte der König und sah zu seiner Frau.
    »Ich kann es nicht erkennen.« Sie drehte sich wieder zu ihnen um. »Macht weiter mit eurem Schwertkampf.«
    Lächelnd ließ der König sein Schwert sinken. »Ich glaube nicht, dass ich mich solchen Spielereien widmen sollte.« Doch er führte das Holzschwert, als wäre es eine echte Waffe, und die Königin lächelte insgeheim.
    Der Prinz nutzte die Gelegenheit, um seinen Vater zu überrumpeln und ihm das Schwert aus der Hand zu schlagen. Alle drei lachten nun, und der König hob se i nen Sohn hoch und schloss ihn in die Arme.
    »Er würde einen guten Soldaten abgeben«, sagte die Königin.
    »Sprich jetzt nicht davon«, erwiderte der König und streichelte über das Haar des Kindes. »Er ist noch ein kleiner Junge.«
    Vögel ließen sich in den Bäumen des Dachgartens u n ter ihnen nieder. Blutrot ging gerade die Sonne unter. Das Königspaar und ihr Kind genossen den Ausblick, als wären sie eine ganz gewöhnliche Familie. Plötzlich schwand die Stille – ganz in der Nähe schrien Menschen.
    Das Burgtor fiel mit einer lauten Explosion. Plötzlich kauerten König und Königin auf den Knien und sahen einander an.
    »Beweg dich nicht«, befahl der Mann seinem Sohn.
    Von unten hörten sie die Rufe der Rebellentruppen. Über den Rand des Balkons hinweg konnte der Junge erkennen, wie sie Ameisen gleich auf den Burghof schwärmten. Die drei Menschen auf dem Balkon kla m merten sich aneinander. Der König zog ein Messer aus seinem Gürtel, und es funkelte rot im Licht der unterg e henden Sonne. In einem tiefer gelegenen Raum ertönte plötzlich eine Salve von Gewehrschüssen.
    »Sie haben Schusswaffen«, flüsterte der Mann seiner Frau ins Ohr. »Wie ist das möglich? Wer hat sie herg e stellt?« Sie nahm seine Hand; das leise Klicken, mit dem sich ihre beiden Ringe berührten, war in der momentanen Stille deutlich zu vernehmen.
    Schwere Schritte näherten sich von unten der Balko n tür. Der König stand auf, und die Königin folgte seinem Beispiel. Ohne den Blick von der Tür zu nehmen, tastete der Prinz nach der Hand seiner Mutter, fand sie und hielt sie fest. Sie stellte sich zwischen ihn und die Tür. Die Schritte verstummten.
    Plötzlich wurde die Tür aufgestoßen, der König stür m te nach vorne, und zwei Gewehrschüsse hallten von den Türmen und Dächern der Burg wider. Das Messer glitt dem König aus der Hand, fiel klirrend zu Boden. Im nächsten Moment schlugen der König und die Königin hart auf dem Steinboden des Balkons auf. Niemand hatte den Angriff abwehren können. Er war zu überraschend erfolgt.
    Es herrschte Stille. In der einen Minute hatten der Mann un d d ie Frau noch gelebt, in der nächsten nicht mehr. Das Blut rann langsam über den Boden, und ni e mand bewegte sich.
    Die Tränen des Prinzen steckten ihm in der Kehle fest. Er hob das Messer auf und warf es auf den Soldaten, der geschossen hatte. Es schnitt durch sein Auge und die Se i te seines Gesichts und blieb dort für einen Moment st e cken. Der Mann ließ die Pistole fallen, brach in die Knie und schlug die Hände vors Gesicht. Zähflüssig und du n kel quoll das Blut zwischen seinen Fingern hervor und trop f te auf die helleren Steine. Ein anderer Soldat hob seine Wa f fe.
    »Nein!«, schrie der Verletzte, das Gesicht noch immer in den Händen vergraben. »Denk an die Prophezeiung! Du darfst den Prinzen nicht töten!«
     
    Sie waren auf dem Heimweg. Das Mädchen – inzw i schen fünf Jahre alt – und seine Großmutter. Das Radio lief, und die Frau sang ein paar Takte mit, bevor sie es lauter stellte. Das kleine Mädchen bewegte die Arme wie eine Tänzerin. Die Großmutter
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