Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia

Titel: Manolia-Zyklus 01 - Das Lied von Malonia
Autoren: Catherine Banner
Vom Netzwerk:
Stelle gege n über dem Zeitungsstand an der Ecke vom Paradiesweg gemeint war. »Später.«
    An der Verkaufsbude war keine Warteschlange, de s halb kaufte ich eine Zeitung.
    »Was ist die Schlagzeile?«, fragte Stirling.
    »Patt-Situation.«
    »Was bedeutet das?«
    »Dass eine Situation unentschieden ist«, erklärte ich.
    »Der Krieg also. Was steht da sonst noch?«
    »Zu viel, um es dir jetzt zu erzählen.«
    »Wirst du es mir vorlesen, wenn wir wieder zu Hause sind?«
    »In Ordnung.« Ich faltete die Zeitung zusammen und steckte sie in die Tasche. » Du weißt, dass du lesen lernen musst. Du bist acht Jahre alt.«
    »Ich kann lesen, zumindest fast. Abgesehen davon kann man auch klug werden, ohne zu lesen.«
    »Ich weiß. Du denkst eine Menge nach.«
    »Ja«, sagte er. »Meistens im Unterricht. Und in der Kirche. Glaubst du, dass das unrecht ist?«
    »Nein«, sagte ich. »Aber Großmutter könnte es gla u ben.«
    Unsere Großmutter nahm Stirling jeden Tag mit zum Gottesdienst. Seine Erstkommunion würde im Juli sein – am einundzwanzigsten Juli, das Datum stand bereits fest. Ich hatte nie Kommunion gefeiert, und da ich inzwischen fünfzehn war, hatte Großmutter aufgehört, es vorz u schlagen. Ich weigerte mich, an den Werktagen den Go t tesdienst zu besuchen, und ging nur am Sonntag. Ich denke, es hatte ebenso viel damit zu tun, dass ich es has s te, wenn man mir sagte, was ich zu tun hatte, wie damit, dass ich nicht besonders religiös war.
    »Ja.« Stirling lachte. »Großmutter könnte es glauben. Würde Gott es für unrecht halten?«
    »Ich bezweifle, dass er es überhaupt bemerkt.«
    »Doch, das tut er. Er bemerkt alles. Die Sperlinge und alles andere. Also fällt ihm bestimmt auch auf, wenn die Menschen in der Kirche manchmal nicht zuhören. Vo r ausgesetzt, es ist unrecht.«
    »Schon gut, schon gut«, sagte ich. »Hör auf zu pred i gen. Und du weißt, dass ich es nicht mag, wenn man mir diese religiösen Fragen stellt.«
    »Warum nicht? Ich will doch nur wissen, was du denkst.«
    »Stirling, hör jetzt auf.«
    »Entschuldigung.«
    Er sagte das so demütig, dass ich mit sanfterer Stimme doch weitersprach. »Ich bin mir sicher, dass er es nicht für unrecht hält. Aber ich werde sowieso derjenige sein, der in der Hölle landet, denn ich höre in der Kirche ni e mals zu.« Er lachte. »Jetzt komm, wir sind spät dran.«
    Hinter uns stolperten die letzten Jungen durch das Tor und über den Schneematsch, um sich auf dem Hof in Reih und Glied aufzustellen. Sergeant Markey, Stirlings Lehrer und der schlimmste an der Schule, musterte sie mit seiner üblichen Miene, die man nicht anders als re g los beschreiben konnte. Sein Blick veränderte sich zu Abscheu, als er Stirling und mich sah. Er hasste uns und machte kein Geheimnis daraus.
    Ich starrte zurück, dann bedachte ich Stirling mit di e sem Blick, mit dem ich ihn jeden Morgen bedachte – ein Blick, der gelassenes Erdulden ausdrückte, so wie ein Verurteilter, der sich mit seiner Hinrichtung abgefunden hat –, anschließend drehten wir uns zum Portal um.
    Der Blick verärgerte Sergeant Markey. »Himmelher r gott nochmal, macht jetzt, dass ihr reinkommt, Jungs!«, fauchte er. Er musste so ziemlich der einzige Mensch in Malonia sein, der keine Skrupel hatte, den Namen des Herrn zu missbrauchen. Ich sah, dass Stirling deswegen die Stirn runzelte.
    Sergeant Markey bemerkte das Stirnrunzeln ebenfalls. Wir gingen hinein, aber wir beeilten uns dabei nicht. Ich schlurfte bewusst mit den Absätzen, um ihn zu ärgern. Sergeant Markey blickte uns finster an, aber da Stirling sich brav verhielt, konnte er nichts sagen.
     
    Als wir nach der Schule heimgingen, war der Schnee zu Eis gefroren und heimtückisch glatt. In den Straßen war es dunkel und furchtbar kalt.
    »Also, glaubst du, dass ich Recht haben könnte?«, fragte Stirling , als wir den Paradiesweg hinabschlitte r ten. »Meinst du, dass dieses Land namens England exi s tieren könnte?«
    »Es wäre möglich«, sagte ich. »Aber es gibt keine Möglichkeit, es zu beweisen.«
    »Aber die Prophezeiung …«
    »Alles, was sie besagt, ist, dass der Prinz in die Ve r bannung geschickt würde. Wohin, wurde nie erwähnt. Auch wenn jeder annimmt, dass es England war, wohin man Aldebaran geschickt hat, muss das nicht unbedingt stimmen.«
    »Aber es war eine andere Welt.«
    »Falls man ihn überhaupt verbannt hat. Falls er nicht umgebracht wurde. Weißt du, der Tod ist auch eine and e re Welt. Manchmal kann man den Worten
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher