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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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Schlepptau, das Gedränge war dementsprechend groß.
    Die hochkarätige, aufgeschreckte Meute drückte Kalim al-Hasid schmerzhaft an die Scheibe. Er blickte nach draußen und sah Jacques Rogge, wie er sich mit einem Würstchen in der Hand durch die Menschenmassen kämpfte. Kalim wandte sich um und suchte nach seinem Leibwächter Jusuf. Der schweigsame Marokkaner war ein Profi, er stand ganz in seiner Nähe, ein paar Meter von ihm entfernt, wie es sich gehörte – und das war beruhigend. Jusuf hatte sein Fernglas gezückt und blickte zur Schanze. Dort schlidderte Sørensen jetzt die Aufsprungbahn hinunter, der rechte Ski war ihm sofort weggeflogen und überschlug sich ein paar Mal, dann glitt das herrenlose Brettchen den Rest des Abhangs hinunter, frech fuhr es seinem Besitzer voraus und schoss durch die Absperrung mitten in die
Zuschauermenge hinein, die sich kreischend öffnete, den Ski von Åge Sørensen verschlang und nicht wieder ausspuckte. Kalim ließ sich von seinem Leibwächter das Fernglas geben und verfolgte den Sturz des Dänen jetzt hautnah. Der linke Ski war noch an Åges Bein, aus irgendeinem Grund löste und löste sich die Sicherheitsbindung nicht. Sørensen überschlug sich mehrmals, wurde immer wieder hoch in die Luft geschleudert und landete abermals auf dem harten Steilhang. Nicht wenige der Zuschauer bekreuzigten sich jetzt schon. Kaum einer glaubte mehr, dass man so etwas überleben konnte. Erst in der Mitte des Auslaufbereichs kam der Däne zur Ruhe, und sternförmig liefen jetzt die Sanitäter auf ihn zu, Kalim zählte insgesamt acht Krankenbahren, die über den Schnee gerollt, gezogen und getragen wurden, bald nahm die Traube der rettenden Kräfte der gaffenden Menge dort unten die Sicht. Kalim gab Jusuf das Fernglas wieder zurück. Man konnte nur vermuten, dass da in der Mitte nicht viel mehr als eine Ansammlung dänischer Knochen lag.
     
    Von der VIP -Lounge aus hatte man bessere Sicht als drunten beim zahlenden Publikum. Jusuf, der Marokkaner, ein ehemaliger Unteroffizier der Fremdenlegion, dem der Beruf des Bodyguards auf den Leib geschrieben war, zoomte sich mit dem Fernglas heran. Er konnte sehen, wie Sørensen der linke Ski ausgezogen wurde, wie sechs oder acht Arme beherzt unter ihn griffen, um ihn danach sanft auf eine Bahre zu legen. Das Klinikum war gleich um die Ecke, sogar in Sichtweite – ob aber das jetzt noch etwas nützte? Der Stadionsprecher plapperte weiter, dass die Rennleitung das Springen selbstverständlich abgebrochen hatte, dass man über den Gesundheitszustand des Gestürzten laufend informieren würde, dass der dänische Ministerpräsident schon angerufen hätte, und dass Jacques Rogge, der IOC -Präsident, gleich ans Mikrophon käme, um ein paar tröstliche Worte zu sprechen.
    Nachdem der Krankenwagen weggefahren war, ließ Jusuf das Fernglas wieder sinken und entspannte sich. Er machte sich bewusst, dass es ein Unfall da draußen war, keine Bedrohung seines derzeitigen Objekts hier drinnen. Situationsanalyse: positiv. Entwarnung. Eine Alarmstufe zurück. Für die Sicherheit Kalim al-Hasids wurde er bezahlt, für sonst nichts. Er drehte sich vom Fenster weg und beobachtete die aufgeregte Meute der etwa hundert VIPs, die sich hier im Raum befanden. Jusuf kannte viele davon von anderen Gelegenheiten her, er kannte auch die dazugehörigen Leibwächter und ihre jeweiligen Fähigkeiten. Er war bezüglich der Sicherheit hier im Raum ganz beruhigt, es waren nur die Besten engagiert worden. Sein Blick wanderte zur Tür. Dort kämpfte sich Präsident Rogge gerade wieder herein, das Thüringer Wahrzeichen hielt er empor wie ein Staffelholz, vielleicht sogar wie die olympische Fackel selbst – bei Rogge sah es jedenfalls so aus. Obwohl sich ihm gerade das halbe bayrische Kabinett entgegenstemmte, kam der IOC -Präsident gut voran und gewann an Boden. Vielleicht lag es daran, dass er einmal Rugbyspieler gewesen war. Drinnen winkte ihm schon Kalim al-Hasid zu.
     
    Der Kurort, der den unangenehmen Geschmack der Olympischen Winterspiele von 1936 loswerden wollte, bewarb sich, wieder einmal, um die Ausrichtung der Spiele im Jahr 2018. Eigentlich war München offizieller Bewerbungskandidat, aber dieses Vordrängeln der Landeshauptstadt beachteten viele Bewohner des Kurortes überhaupt nicht. Jedenfalls ging es um einiges, genauer gesagt, um viel, viel Geld. Deshalb waren der bayrische Ministerpräsident da, einige jeweils gegeneinander konkurrierende Brauereivorstände,
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