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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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Werdenfelser Landes. Das Gipfelkreuz blinkte heute besonders frech von dort droben herunter, das ganze urtümliche Monstrum sah, mit ein bisschen Phantasie, wie ein schlafendes Nashorn aus, das zu wecken nicht ratsam war.
    Die Wintersonne funkelte, kein Lüftchen regte sich hier oben auf dem Schanzenkopf. Das Wetterhoch
Charlotte
hatte den Himmel sorgfältig leergepustet, und der Föhn tat vielleicht noch ein Übriges, um die hingestreuten felsigen Schmuckstücke zum Greifen nah erscheinen zu lassen. Lange hielt der Kameramann auf die auffälligste Preziose in der Wettersteinkette, auf das markante Dreieck der Alpspitze, das etwas von einer Haifischrückenflosse hatte – das unvermeidliche Logo der ganzen Region. Das stramme Dreieck stellte für den wahren Bergfex wiederum nur einen Dackelspaziergang dar, klar. Aber vom Design her: Erste Sahne. Schließlich schwenkte der Kameramann noch hinüber zum Kleinen Waxenstein, dem unzugänglichen Kegelstumpf, der eigenbrötlerisch und trotzig nach vorn aus der Kulisse ragte. Abweisend war er wie ein nepalesischer Achttausender: Nur gucken, nicht raufsteigen! Trotzdem versuchten es jedes Jahr einige aufs Neue – und wurden zurückgeworfen ins herrliche Loisachtal.
     
    Der Skispringer der dänischen Nationalmannschaft, der jetzt mit der Seilbahn die Große Olympiaschanze hinauffuhr, hatte momentan keinen Blick für all die Drei-Sterne-Sehenswürdigkeiten rundherum. Als er ausgestiegen war, schnaufte er ein paar Mal kräftig durch, als ob hier oben die Luft schon wesentlich dünner geworden wäre.
    Der Stadionsprecher kündigte das Finalspringen an, und der Jubel der verkaterten Menge unten war gewaltig. Gerade vorhin noch hatte man Sekt gebechert, Blei gegossen, nach verlorenen Rindsfiletstückchen im Fonduetopf gefischt, gute Vorsätze
gefasst, jetzt stand man drinnen in den Arealen A bis F und fror an allen frostschutzbedürftigen Körperteilen. Åge Sørensen war heute der einzige dänische Springer. In der Qualifikation hatte er sich einen der Lucky-Loser-Plätze erkämpft, und war, äußerst glücklich, gerade noch so hineingerutscht in das ehrenwerte Feld, in dem sich normalerweise nur die heiligen vier oder fünf Skisprungnationen tummelten – die erschreckend gut vorbereiteten Norweger beispielsweise, oder die unverschämt motivierten Finnen. Sørensen machte sich keinerlei Hoffnungen, ganz nach vorne auf einen Podestplatz zu kommen, er wusste, dass die Qualifikation für das Finale das Beste war, was er je erreichen würde – aber vielleicht gerade deshalb stieg er so gut gelaunt auf die Waage. Auf dem Rücken des Psycho-Wisch-Funktionärs hatte er mit seiner krakeligen Unterschrift gerade bestätigt, dass er sich freiwillig, bei klarem Verstand und ohne Zutun Dritter den Turm hinunterstürzen wollte. Er war nicht dem Erfolgsdruck der hochnervösen Hoffnungsträger ausgesetzt, die nach ihm springen würden. Åge hatte es bis hierher geschafft, und bei dem Gedanken daran kam ihm unter seiner Schutzbrille ein dickes dänisches Grinsen aus. Als die Kamera auf ihn hielt, zeigte er gar das Victory-Zeichen, beugte sich vor und grüßte seine Mutter im nordjütländischen Skagen.
    Die ehrenamtlichen Helfer vor Ort hatten sich mächtig ins Zeug gelegt. Auf einem der Tischchen im Funktionsraum warteten isotonische Erfrischungsgetränke in allen Größen und Farben, dazwischen gab es regionale Schnittchen, dunkles Brot mit handgeschleuderter Bauernbutter und voralpenländischem Käse, liebevoll geschmiert von der Schwester der Frau des Neffen des Vorsitzenden des örtlichen Skiclubs. Wie furchtbar leicht wäre es, dachte Åge, auf eines dieser Butterbrote einen kleinen Muntermacher zu geben, eine Prise Epo etwa, eine Pipette voll Testosteron, oder ein Bröselchen AN 1, um auf diese Weise die nachfolgenden Konkurrenten mal kurz in die
     Schlagzeilen zu bringen. Aber so etwas war vermutlich noch nie gemacht worden, zumindest beim Skispringen nicht. Bringt in
     dieser Disziplin ja auch gar nichts, wie die Verantwortlichen immer wieder beteuerten.
     
    We are red, we are white, we are Danish dynamite!
, glaubte Åge Sørensen von unten zu hören. War denn halb Dänemark da? Er stieg in den Schrägaufzug und fuhr die restlichen sechzig Meter hoch zum Schanzenkopf. Als er dort ins Freie trat, kam er sofort ins Visier der internationalen Kameras. Eine ferngesteuerte Linse schwenkte besonders dreist zu ihm herüber, und jetzt wurde er fast ein wenig übermütig: Er rieb sich den
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