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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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1
    Sai|son [zɛˈzɔ, zɛˈzɔŋ] »(günstige, geeignete) Jahreszeit«; Zeitabschnitt des Jahres, in dem bestimmte Vorhaben intensiver als sonst betrieben werden; vermutlich aus dem satio = »Aussaat«, »Saatzeit«; nach G. Ruckdäschel aus dem s eēson , σ́єησov = »ernten, pflücken, ausnehmen, ausbeuten«; vergleiche auch seyonn (e) = »Erntezeit« (aber auch,
fig.
: »jmd. das Geld aus der Tasche ziehen«); nach K. Hannemann und U. Lassedanz ein Lehnwort aus dem (oiffe) seddan (hangör) = »Fremde kommen ins Dorf«; siehe auch K. Gröth: (
auch
weibl. Vorname) Sesoan =
etwa:
»Reichtum zur rechten Zeit«; ungesichert dagegen F. Mackonsen, dse-sunna =
etwa:
»(An)Schwellen des (Geld)Beutels« (Siehe auch Hoch|sai|son )
    Lieber Herr Kommissar,
    zunächst wünsche ich Ihnen einmal ein gutes, gesundes und erfolgreiches neues Jahr! Sie werden überrascht sein, jetzt schon von mir zu hören und ein Bekennerschreiben zu bekommen, das diesen Namen eigentlich nicht verdient, weil es ja noch nichts zu bekennen gibt. Ja, Sie haben richtig gelesen: Die Tat ist noch gar nicht begangen, ich bereite das Delikt gerade vor. Das heißt: Ich überlege mir, gegen welches Gesetz ich denn nun verstoßen soll. Soll es eine »Straftat gegen die körperliche Unversehrtheit« werden? Eine »Störung der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung«? Etwas Terroristisches? Reizen würde mich einiges, und ich habe auch schon eine Idee – aber lassen Sie sich überraschen, Herr Kommissar! Oh, Entschuldigung: Ich kenne Sie – Sie kennen mich hingegen nicht, ich darf mich deshalb vielleicht kurz vorstellen. Ich bin sechsunddreißig Jahre alt, männlich, schlank, mittelgroß, dunkelblond, Oberlippenbart, Sternzeichen Waage, meine Hobbys sind Reiten und Schach – das braucht natürlich alles nicht zu stimmen. Aber vielleicht doch.
    Ich habe meine Hausaufgaben gemacht: Ich habe ein Päckchen Schreibmaschinenpapier gekauft, in einer anderen Stadt, schon vor längerer Zeit, ich habe nur ein Blatt daraus verwendet. Ich habe auf einem Flohmarkt eine alte Schreibmaschine erstanden, vielleicht im Ausland, vielleicht auch nicht. Ich habe beim Schreiben Handschuhe getragen, sogar Mundschutz und ein Haarnetz. Ich habe die vielen Entwürfe, die ich geschrieben habe, verbrannt. Viele Entwürfe deshalb, weil ich lange, wirklich sehr lange an meinem Schreibstil gefeilt habe. Der linguistische Profiler, der meine Sprache später untersucht, soll sich ruhig die Zähne daran ausbeißen. Er wird seinen Spaß haben. Ich war selbst lange genug bei der Polizei – auch dies muss wieder nicht stimmen. Aber das ist ja das Schöne an einem Bekennerbrief – es kann alles stimmen, muss aber nicht. Für heute ist es genug, Herr Kommissar, ich habe ja schließlich auch noch einen bürgerlichen Beruf. Sie hören sicherlich bald von mir, dann bin ich bestimmt auch schon ein Stück weiter.
     
    Mit vielen Grüßen – Ihr (zukünftiger) Täter

2
    Der Kameramann auf der Großen Olympiaschanze wusste gar nicht, wo er zuerst hinschwenken sollte, so babyaugenblau war der Himmel an diesem Neujahrstag, so dröhnend spannte er sich über das Werdenfelser Tal – so anzüglich glitzernd und dampfend buhlte jeder Einzelne der schneebedeckten Berge um die Aufmerksamkeit der sechsundzwanzigtausend Sportbegeisterten, die zum Neujahrsspringen gekommen waren. Unten im Loisachtal pflügte sich der namensgebende Fluss quer durch den Kurort – gerade eben noch war die Loisach als quicklebendiges Wildwasser über die nahe österreichische Grenze gepoltert, jetzt floss sie träge durch die leere Gemeinde – denn alle waren zur Schanze gepilgert: Adler gucken, Flugkurven bewundern, Deutschlanddaumen drücken. Eine Bombe hätte man werfen können im Ortskern, man hätte kaum jemanden getroffen.
     
    Der Kameramann drehte sich nun um und schwenkte über den Hintergrund der Schanze, den dicht bewaldeten Gudiberg, an dessen Hang die beiden Sprungschanzen standen wie zwei vergessene Stöckelschuhe, aus denen gerade eine Riesin mit zwei unterschiedlich großen Füßen geschlüpft war. Gemessen am Alpenstandard war der Gudiberg natürlich nur ein Hügelchen, ein Dackelspaziergang – der gegenüberliegende Berg wiederum, auf den die Springer zuschossen, war schon eine Nummer felsiger: Die Kramerspitze schraubte sich da aus dem Schneemantel – ein frei stehender, knapper Zweitausender, quasi der
Kilimandscharo des
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