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Hochsaison. Alpenkrimi

Titel: Hochsaison. Alpenkrimi
Autoren: Jörg Maurer
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ein hochrangiges Objekt hier, das war sicher. Und er würde nicht sagen, wen er zu beschützen hatte.
    »Verdammte Sache, das mit dem Sturz«, sagte Benetti.
    »Das kannst du laut sagen. Ist dir hier irgendwas Besonderes aufgefallen? Was Außergewöhnliches? Was Verdächtiges?«
    »Ich habe nichts bemerkt«, sagte Benetti lächelnd. Er machte eine kleine, diskrete Bewegung mit dem Kopf, hin zu den Füßen von Jusuf.
    »Schuhe binden, wie?«, sagte er süffisant.
    Jusuf brauchte nicht auf seine Schuhe zu sehen. Er trug heute Slippers.

6
    »Ich werd euch ganz genau sagen, wie es passiert ist.«
    Mit diesen Worten stellte Oberforstrat a.D. Willi Angerer sein imposant verpacktes Jagdgewehr in die Ecke des kleinen Cafés. Von der verwitterten Hülle aus dunklem Leder ging eine unbestimmte Melange aus Wald, Jagd und Brunft aus, doch niemand störte sich daran. Er setzte sich an eines der Tischchen. Die hip eingerichtete Bäckerei Krusti, zentral gelegen, zentraler ging es gar nicht mehr, bot nicht nur Aberhunderte von Semmelvariationen an (in dieser Woche neu: die
Sex-and-the-Village-Laiberl
), sondern war auch Treffpunkt all derer, die es wissen wollten. Die es nicht erst morgen in der Zeitung lesen wollten, sondern die es gleich und heute noch und brühwarm erfahren wollten. Es gab, einen Tag nach dem spektakulären Sturz des Dänen, nur ein einziges Thema, und das war das verpatzte Neujahrsspringen. Alle im Café hatten das Gespräch mitten im Satz abgebrochen und schauten jetzt hin zum Angerer. Alle hatten ihre Augenbrauen fragend hochgezogen, jeder wollte die Theorie des Försters hören, doch der Angerer biss zuerst einmal, quasi retardierend, in eine Mandelkleie-Dinkel-Semmel, um die Spannung zu erhöhen. Alle warteten, denn der Oberforstrat war ja gewissermaßen eine Respektsperson. Zusätzliche Kompetenz in dieser speziellen Angelegenheit gab ihm noch die Tatsache, dass er ehemaliger Skispringer war. Als junger Bursch, in den fünfziger Jahren, wäre er sogar fast einmal in die bundesdeutsche Nationalmannschaft berufen worden. Aber nur fast.
    »Da sind wir aber alle gespannt, wie es
wirklich
passiert ist«, sagte der Gemeinderat Toni Harrigl, der im Schatten eines riesigen Gummibaums saß, der angeblich deswegen so gut geraten war, weil er täglich mit dem frischen Weißbier einer weithin bekannten (aber hier ungenannt bleibenden) Brauerei gegossen wurde. Harrigl und Angerer mochten sich normalerweise überhaupt nicht, der eine war
für
, der andere
gegen
den Fremdenverkehr – jetzt aber hörte der Gemeinderat dem Waidmann, wenn auch skeptisch, zu.
     
    »Es war wie damals 1959 in Oberstdorf, beim Ausscheidungsspringen für Squaw Valley«, begann der Angerer, »ein Ami springt weg und liegt ungefähr so in der Luft –« Er hob die Arme und formte mit beiden Händen die Ski des Amerikaners, dabei kam ein windschiefes und zappeliges V heraus. Ein paar der Anwesenden grinsten schon. Die meisten von Angerers Skisprung-Anekdoten begannen nämlich 1959 in Oberstdorf.
    »Jetzt verreißt es ihm den rechten Ski, dem Amerikaner, und –«
    Er wurde mitten im Satz unterbrochen, denn die Tür flog auf und der Wind wehte einen seltenen (weil vielbeschäftigten) Gast herein, den Fischer Beppi, den bekannten Zitherkünstler, der mit verschiedenen Lauten der Begrüßung empfangen wurde: Hoi! Öha! Aha! Wos! Ja, du! Leck mi! Dem Fremden mögen diese Laute jetzt unverständlich und kryptisch (vielleicht sogar bedrohlich) vorkommen, doch in der Bäckerei Krusti trafen sie die Stimmung genau. Der Zither Beppi, wie er überall genannt wurde, war ein überaus kleines und verwachsenes Männchen, das seine zerkratzte Zither fast schützend vor sich hielt. Jetzt setzte er sich an den Tisch. Er war aber keineswegs gekommen, um in der Bäckerei Krusti ländliche und almerische Weisen aufzuspielen, er stellte sein Instrument vielmehr neben sich auf
den Boden und bestellte einen Kaffee. Der Zither Beppi war natürlich ebenfalls im Skistadion gewesen, gestern, zur fraglichen Zeit, das war sozusagen sein Beruf, zur fraglichen Zeit mit der passenden Musik am richtigen Platz zu sein. Normalerweise spielte er in den touristischen Restaurants des Kurortes, dort unterhielt er die Fremden mit lokalem Liedgut und internationalen Schlagern, er zauberte bei Bedarf auch musikalische Abartigkeiten wie eine Zitherfassung von
Highway to hell
aus dem Ärmel. Am Neujahrstag hatte er sein Instrument in der geheimen VIP -Lounge des Skistadions aufgeschlagen,
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