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Hochgefickt

Titel: Hochgefickt
Autoren: Nathalie Bergdoll
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ZuRecht.)
    Auch beziehungstechnisch blieb bei ihnen alles geschmeidig, meine Eltern liebten sich, das Haus und ihr neues Leben sehr. Sie genossen die Sehnsucht, wenn Günther beruflich unterwegs war, und blieben immer stolz und neugierig aufeinander. Die Beziehung gewann durch die neuen äußeren Umstände weiter an Tiefe, die Leidenschaft und die Freude aneinander ließen dabei erstaunlicherweise nicht nach. Gerade das war für mich persönlich großes Glück, denn sonst hätte das mit meiner Zeugung schwierig werden können.
    Im Sommerurlaub 1973, als sie mit der Duo-Glide durch Südfrankreich brummten, war jedoch alles ganz einfach: Ein Spermium von Günther knackte Renates Eizelle, und somit brachten sie sich von der Croisette ein besonderes Souvenir mit in die Eifel. Das Große-Abenteuer bekam Verstärkung – und ich landete mit meinem Talent, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, in einem wunderbar gemachten Nest, das mir optimale Startbedingungen für meine spätere Karriere im Rampenlicht bot: lebensfrohe Eltern mit einem ausgeprägten Hang zur Exzentrik, ein schönes Zuhause mit dubioser Vorgeschichte und als perfektes Sahnehäubchen eine Kindheit im Frisiersalon.
    Und zwar nicht in irgendeinem Frisiersalon, sondern in Renates »Beichtstuhlanstalt im Puffdesign«, wie mein Vater ihn gerne nannte. Hier lag der »Kommunikationszentralknotenpunkt« des ganzen Landkreises, wo man sich in altrosafarbenem Ambiente, vor verschnörkelten Messingspiegeln, ausgiebig über Befindlichkeiten, Finanzen, Intrigen, Gerüchte und Affären austauschte. In dieser Keimzelle des Dorfklatsches profitierte ich natürlich in Sachen Menschenkenntnis und Kurzweil sehr von der scharfen Beobachtungsgabe, die mein Vater mir vererbt hat. Ganz besonders jedoch interessierten mich im Salon bereits als kleines Kind die ganzen bunten Zeitschriften, auf denen immer Filmstars und Prinzessinnen mit tollen Kleidern und Frisuren waren. Dass ich im zarten Alter von vier Jahren auch die Texte neben den Bildern lesen konnte, habe ich einfach niemandem gesagt. Dafür hatte ich viel zu viel Spaß an den respektvoll verdutzten Gesichtern der Kundinnen, wenn ich ihnen bei der Lektüre über die Armlehne lugte und mit einem scheinbar außergewöhnlich guten Personen- und Namensgedächtnis Eindruck schindete.
    Durch diesen frühkindlichen Konsum der im Salon ausliegenden Regenbogenpresse mischten sich bei mir Realität und Fiktion allerdings schon in jungen Jahren. Bei Märchenkassetten hatte ich zum Beispiel immer Silvia von Schweden mit ihrer kleinen Viktoria vor Augen, wenn das Rumpelstilzchen kam, um »der Königin ihr Kind zu holen«. Trotzdem wollte ich auch so schön, reich und berühmt werden, und die ganzen Omis, die mir immer Werthers Echte zusteckten und lachend applaudierten, wenn ich mich mit irgendwelchen Mätzchen im Mittelpunkt sonnte, bestätigten mich in meinem Glauben, dass das auch klappen könnte. Besonders beliebt im Salon war meine Darbietung einer alten Eifeler Volksweise, des »Kackliedes«. Es gibt ein Foto aus der Zeit, auf dem eine dickliche 5-jährige mit rotblonden Zöpfen und grotesk großem Mund, im spacken Trägerkleidchen aus grasgrünem Cord auf dem Kassentresen hockt und fröhlich in eine Rundbürste singt. Das bin ich mit meinem ersten Hit.
    Ein weiterer Glücksfall für die perfekte Vorbereitung auf meine spätere Karriere im Showgeschäft war aber auch die Tatsache, dass Renates Salon ein paar Jahre später über den ersten Kabelanschluss im Ort verfügte. Dank ihm blieb ich im schulinternen Coolness-Ranking trotz fester Zahnspange immerhin im Mittelfeld und konnte darüber hinaus auch den Aufstieg des Privatfernsehens genau verfolgen. Dass ich berühmt werden wollte, hatte ich ja bereits als kleines Kind beschlossen, aber als ich nun sah, wie viele neue Sender permanent neue Stars ausspuckten, wollte ich nicht mehr in ein europäisches Königshaus einheiraten. Nein, ich steckte mir in der Pubertät ein neues, zeitgeistgemäßeres Ziel: Ich wollte ins Fernsehen, irgendwie »in die Medien« eben. Mein Problem war nur, dass ich nicht die geringste Ahnung hatte, wie ich dahin kommen sollte.
    Meine Aussprache war durch meine feste Zahnspange logopädisch behandlungsbedürftig geworden, meine in der Jazz-Dance-Gruppe der katholischen Jugend erworbenen Fähigkeiten im tänzerischen Bereich schätzte ich schon damals realistisch als bestenfalls mittelmäßig ein, und im Frauenchor der Gemeinde durfte ich überhaupt
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